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Das Verbandsbeschwerderecht - Stimme der Natur
Das Verbandsbeschwerderecht (VBR) ermöglicht Umweltschutzorganisationen seit 1966, der Natur eine Stimme zu geben. Wir machen auf den Wert des VBR aufmerksam und zeigen, wie das Instrument angewendet wird.
«Mit dem Verbandsbeschwerderecht können die Umweltverbände geltendes Recht einfordern. Die hohe Erfolgsquote ihrer Beschwerden zeigt, dass sie dies mit grosser Sorgfalt und sehr bedacht tun. Genauso zeigt die Rechtsprechung, wie oft geltendes Umweltrecht nicht eingehalten wird. Es gibt keine Instanz, welche dessen Vollzug überprüft. In den jetzigen Zeiten, wo Natur und Umwelt stark unter Druck sind, ist das Verbandsbeschwerderecht umso wichtiger.»
Hasan Candan, Nationalrat (SP)
Die Natur kann ihre Interessen nicht selbst vertreten. Deshalb gibt es in der Schweiz seit 1966 das Verbandsbeschwerderecht (VBR). Es ermöglicht Umweltschutzorganisationen, der Natur eine Stimme zu verleihen und zu verhindern, dass Projekte mit Auswirkungen auf Natur und Landschaft gegen gesetzliche Vorgaben verstossen. Naturjuwelen wie die Greina Hochebene konnten nur dank des VBR gerettet werden.
Der Wert des VBR geht aber weit über Einzelfälle hinaus: Es wirkt präventiv auf die Einhaltung geltenden Umweltrechts und sorgt häufig dafür, dass Umweltschutzorganisationen und Projektanten frühzeitig nach gemeinsam Lösungen suchen. Trotzdem ist die immer wiederkehrende Kritik am VBR so alt wie das Instrument selbst. 2008 sollte es mit Hilfe einer Volksinitiative sogar abgeschafft werden. Doch ein klares Votum des Volkes zeigte, dass die Kritik nicht verfängt.
Für die Energiewende sind aktuell eine Reihe neuer Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien geplant. Seit der Annahme des Stromgesetzes 2024 werden einige davon im Anhang des Stromversorgungsgesetzes genannt. Zwar sieht das Gesetz vor, und dies wurde auch stets betont, dass eine rechtliche Prüfung dieser Projekte mit Hilfe des VBR weiterhin möglich ist. Wer dieses Recht – wie Aqua Viva im Falle der Trift – tatsächlich in Anspruch nimmt, sieht sich aber mit massiver Kritik konfrontiert.
Im Parlament wird aktuell sogar laut nach Einschränkungen des VBR gerufen. In der Herbstsession wurde die Verbandsbeschwerde für Bauten innerhalb der Bauzone und mit einer Geschossfläche von weniger als 400 Quadratmetern bereits abgeschafft. Weitere Einschnitte könnten in der Wintersession folgen. Das für Natur und Landschaft so wichtige Instrument soll zum zahnlosen Tiger verkümmern.
Mit dem vorliegenden Themenbereich möchten wir auf den Wert des VBR aufmerksam machen. Wir tauchen ein in seine Geschichte und lernen für Natur und Landschaft wichtige Beschwerdeverfahren kennen. Zahlen aus der aktuellen Beschwerdestatistik zeigen, wie zurückhaltend und erfolgreich die Umweltschutzorganisationen mit dem VBR umgehen. Lassen Sie sich überraschen, welch spannende Geschichten es über das VBR zu erzählen gibt.
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Sachlich begründet und bewährt
Seit nahezu 60 Jahren gibt es das Instrument des VBR. Seine Einschränkung wäre ein schwerer Verlust für den Umweltschutz und mit internationalem Recht nicht vereinbar.
Zeitschrift: Stimme der Natur
Das Verbandsbeschwerderecht (VBR) ermöglicht Umweltschutzorganisationen, der Natur eine Stimme zu geben. In dieser Ausgabe machen wir auf den Wert des VBR aufmerksam und zeigen, wie das Instrument angewendet wird.
Erfolgreich und zurückhaltend
Die beim Bundesgericht, dem Bundesverwaltungsgericht sowie den kantonalen Gerichten von den Umweltschutzorganisationen eingereichten Beschwerden sind im Vergleich zu den insgesamt vom Bundes- und Bundesverwaltungsgericht behandelten Beschwerden überdurchschnittlich erfolgreich. Das Bundesgericht und das Bundesverwaltungsgericht behandeln jährlich mehrere Tausend Beschwerden – überwiegend von privaten Akteuren.
Nur 54 von 698 Beschwerden (7,7 Prozent) der Umweltschutzorganisationen richteten sich zwischen 2013 und 2022 gegen Vorhaben im Bereich erneuerbarer Energien. In den letzten fünf Jahren waren es 10 (2019), 5 (2020), 6 (2021), 3 (2022) und 3 (2023) Beschwerden. In der Regel geht es den Umweltschutzorganisationen nicht darum, diese Vorhaben zu verhindern, sondern deren negative Auswirkungen auf Natur und Landschaft zu minimieren beispielsweise durch ökologischen Ausgleich.
Der Wert des Verbandsbeschwerderechts
Die folgenden Beispiele veranschaulichen den enormen Wert des Verbandsbeschwerderechts: Sie zeigen, wie dank dieses Instruments wegen Nicht-Einhalten gesetzlicher Vorgaben bedrohte Naturjuwele erhalten blieben, der Dialog gefördert und veraltete Rechtsnormen überprüft wurden.
Das Laggintal: Rettung im letzten Moment
Die einzigartigen Wasserfälle des Laggintals waren in den 1980er Jahren durch ein Wasserkraftwerk bedroht. Dass wir diese einzigartige Berglandschaft mit ihrer faszinierenden Artenvielfalt auch heute noch erleben dürfen, verdanken wir einer Einsprache von Stiftung Landschaftsschutz und Pro Natura.
Kraftwerk Emmenweid: Endlich fischgängig
Fische wandern zur Nahrungssuche und Fortpflanzung oft viele Kilometer und sind deshalb auf vernetzte, durchgängige Gewässer angewiesen. Das Gesetz macht hier klare Vorgaben, zu deren Umsetzung es jedoch häufig intensiver Verhandlungsprozesse bedarf. Dies zeigt die Sanierung des Wasserkraftwerks Emmenweid.
Grundsätzlich von Bedeutung
Das Bundesgerichtsurteil zur Aufhebung der ehehaften Rechte war ein historischer Moment für den Gewässerschutz: Ein aus der Zeit gefallenes Privileg mit massiven Auswirkungen auf Fische und andere Wasserbewohner wurde aufgehoben.
Das Verbandsbeschwerderecht – bewährte Stimme für die Natur
Wenn Umweltschutzorganisationen die Stimme erheben für Landschaften und Lebensräume, die im aktuellen öffentlichen und/oder politischen Fokus stehen, wurde bereits vor 20 Jahren und wird auch heute wieder das Verbandsbeschwerderecht in Zweifel gezogen. Indem die Umweltschutzorganisationen zum Sündenbock abgestempelt werden, wird häufig abgelenkt von einer fehlenden Interessenabwägung und mangelhafter Projektplanung.
Aqua Viva hat die wichtigsten Argumente für das Verbandsbeschwerderecht (VBR) zusammengefasst:
Landwirtschaft, Energieerzeugung, Siedlungsbau, Tourismus und Verkehr: Unsere Landschaft, Natur- und Kulturgüter stehen unter zunehmendem, oft schleichendem Druck. Selbst in abgelegenen Gebieten hoch oben in den Alpen soll immer mehr Land für die menschliche Infrastruktur genutzt werden. Mit Hilfe des VBR können die Umweltschutzorganisationen auch diesen Landschaften eine Stimme geben und mögliche Eingriffe auf ihre Rechtmässigkeit überprüfen lassen.
Die ideellen Ziele des Natur-, Landschafts-und Heimatschutzes kommen einer breiten Öffentlichkeit und damit jedem Einzelnen zugute. Denn eine intakte Natur stellt dem Menschen kostenlose Leistungen zur Verfügung, für die er sonst teuer bezahlen müsste. Auenlandschaften sorgen für besseren Hochwasserschutz und unberührte Alpenlandschaften sind wichtige Erholungsräume. Ohne VBR, ohne Stimme drohen sie zu verschwinden.
Zu oft werden Schutzanliegen Einzelinteressen oder scheinbar übergeordneten Zielen geopfert. Dadurch geraten Nutzen und Schutz aus dem Gleichgewicht. Dies führt zu einem erheblichen Vollzugsdefizit bei der Umsetzung des Umweltrechts. So hinken wir heute den demokratisch ausbalancierten und fachlich begründeten, minimalen Zielen des Gewässerschutzgesetzes weit hinter-her – dies gilt sowohl für die Gewässerraumausscheidung als auch für die Gewässerrevitalisierung und die ökologische Sanierung der Wasserkraft.
Allein die Beschwerdemöglichkeit veranlasst die Projektführenden und die Bewilligungsbehörden, natur- und heimatschutzbewusster vorzugehen und zu entscheiden. Sie behalten Nutzen und Schutz gleichermassen im Blick. Denn wo keine Konsequenzen zu befürchten sind, da werden gesetzlichen Vorgaben auf Dauer immer stärker übertreten oder verwässert.
Unternehmen, Behörden oder Nachbarn sind Rechtspersonen und können als solche auch juristisch auftreten. Ihre Vorhaben und Entscheide beeinflussen Natur und Landschaft, ohne dass diese ebenfalls Rechtsansprüche formulieren können. Das VBR schafft das unerlässliche Gegengewicht zu den wirtschaftlichen und technischen Aspekten von Vorhaben.
Die Interessen von Natur und Landschaft haben es im öffentlichen und politischen Diskurs nicht immer leicht, oft können vor allem wirtschaftliche Interessen auf deutlich grössere Ressourcen zurückgreifen. Ohne die Möglichkeit des Rechtswegs würden bei vielen Entscheidungen der Wert und die Interessen der betroffenen Gebiete kaum Erwähnung in den öffentlichen und politischen Debatten finden.
Wenn Umweltverbände im Namen der Natur Beschwerde führen, können die Auswirkungen auch weit über den Einzelfall hinausgehen. So bewirkte das vom Bundesgericht gefällte Urteil zu einem unbefristeten, ehehaften Wasserrecht (Fall Hammer an der Lorze), dass diese antiquierte Rechtsform hinterfragt wird. Dank des VBR können die obersten Rechtsinstanzen also bestehendes Recht verdeutlichen und weiterentwickeln. Denn auch hier gilt: Ohne Kläger kein Richter.
In den letzten fünf Jahren wurden rund 45 Prozent aller Beschwerden der Umweltschutzorganisationen (teilweise) gutgeheissen. Betrachtet man alle durch das Bundesgericht abgeschlossenen Beschwerden liegt dieser Wert nur bei 13,3 Prozent. Dies bestätigt mehr als viele Worte, dass die Beschwerden berechtigt waren. Der Einsatz des VBR erfolgt mit Mass, nur ein minimaler Anteil der jährlich vom Bundesgericht und Bundesverwaltungsgericht behandelten Beschwerden gehen auf Umweltschutzorganisationen zurück, die grosse Mehrheit wird von privaten Akteuren eingereicht.
Nachgefragt
Fragen rund ums Verbandbeschwerderecht beantworten Nationalrätin und Aqua Viva-Präsidentin Martina Munz sowie Franziska Scheuber und Michael Casanova von Pro Natura.
Nichteinhaltung des Gesetzes
Seit der Verabschiedung des Stromgesetzes wird in Bern hitzig über das VBR gestritten. Vielen Politiker:innen ist es ein Dorn im Auge beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Im Gespräch mit Aqua Viva erklärt Martina Munz, warum die Kritik ihr Ziel verfehlt und wie wir den Ausbau der Erneuerbaren wirklich voranbringen.
Von Mythen und Missverständnissen
Was ist eigentlich eine Beschwerde und was eine Einsprache? Können Umweltschutzorganisationen ein Projekt verhindern? Und wann ist ein Beschwerdeverfahren wirklich abgeschlossen? Franziska Scheuber und Michael Casanova von Pro Natura bringen Licht ins Dunkel.