Bild: © WWF Schweiz
Artikel aus aqua viva 3/2024
Grundsätzlich von Bedeutung
Grundsätzlich von Bedeutung
Das Bundesgerichtsurteil zur Aufhebung der ehehaften Rechte war ein historischer Moment für den Gewässerschutz: Ein aus der Zeit gefallenes Privileg mit massiven Auswirkungen auf Fische und andere Wasserbewohner wurde aufgehoben. An zahlreichen Bächen und Flüssen müssen Kraftwerksbetreiber nun bei der ersten sich bietenden Gelegenheit das Gewässerschutzgesetz umsetzen und für ausreichend Restwasser sowie die Fischgängigkeit ihrer Anlagen sorgen. Möglich gemacht hat diesen Erfolg eine Beschwerde.
Von Salome Steiner
Das Kraftwerk Hammer produzierte lange Zeit Strom für eine naheliegende Papierfabrik. Im August 2010 kam es jedoch zu einem Maschinenschaden und der Betrieb des Kleinstwasserkraftwerks wurde eingestellt. Fünf Jahre lag es anschliessend still. 2015 reichte der Besitzer zwei Baugesuche beim Kanton Zug ein, um das Kraftwerk zu modernisieren und wieder in Betrieb zu nehmen. Gegen diese Baugesuche erhob der WWF Einsprache: Die Sanierung der Fischgängigkeit sowie die minimale Restwassermenge entsprachen nicht den Anforderungen des Gewässerschutzgesetzes. Da der Besitzer die Anlage jedoch auf Grundlage ehehafter Rechte betrieb, stellte sich die Frage, ob für das Kraftwerk die aktuelle Gewässerschutzgesetzgebung überhaupt bindend sei oder ob der Betreiber sich weiterhin auf die mit den ehehaften Rechten verbundenen Privilegien berufen dürfe.
Relikt einer vergangenen Rechtsordnung
Unter ehehaften Wasserrechten versteht man altrechtliche, private Nutzungsrechte an öffentlichen Gewässern, die ihre Inhaber mit diversen Privilegien ausstatten. Um zu verstehen, wie weitreichend diese Privilegien sind, muss man sich die Entwicklung der Wasserrechte im letzten Jahrhundert vor Augen führen. Seit 1915 ist die Wasserkraftnutzung in der Schweiz an eine Konzession gebunden. Solche Konzessionen werden in der Regel für eine Dauer von 80 Jahren vergeben und müssen anschliessend erneuert werden. Seit 1992 ist die Vergabe einer Konzession oder die Neukonzessionierung eines Wasserkraftwerks zudem an die Einhaltung des Gewässerschutzgesetzes gebunden. Entsprechende Anlagen müssen deshalb ökologisch geplant oder im Zuge der Neukonzessionierung saniert werden.
Die ehehaften Rechte wurden jedoch teilweise bereits im 17. oder 18. Jahrhundert vergeben und gelten seitdem unverändert. Die Inhaber mussten bislang weder eine Konzession beantragen noch für die ökologische Sanierung ihrer Anlagen sorgen. Auch von Konzessionsgebühren oder Wasserzinsen blieben sie befreit. Solche althergebrachten Privilegien bilden einen Fremdkörper im heutigen Recht und stellen eine unverhältnismässige Bevorteilung gegenüber neueren Anlagen dar. Die fehlende ökologische Sanierung hat einen grossen Einfluss auf die Gewässer: Die geringen Restwassermengen, fehlenden Fischpassagen und der Mangel an Geschiebe können für Fische zum Todesurteil werden.
Das Bundesamt für Energie geht von schweizweit 361 Wasserkraftwerken basierend auf ehehaften Wasserrechten aus. Bei den meisten davon handelt es sich um Kleinstwasserkraftwerke mit einer Leistung von weniger als 300 Kilowatt. Ein Löwenanteil der Anlagen steht jedoch still. Die restlichen produzieren den Strom häufig zu extrem hohen, nicht marktkonformen Gestehungskosten. Für die Energiewende sind diese Anlagen völlig vernachlässigbar. Obwohl sie für Fische und andere Wasserbewohner unüberwindbare Hindernisse darstellen, wurden sie teils aus nostalgischen Gründen weiterbetrieben oder einfach ungenutzt im Gewässer belassen. So war es auch beim Kraftwerk Hammer.
Das Ende der ehehaften Rechte
Das Bundesgericht entschied am 29. März 2019 nicht nur über das Kraftwerk Hammer, sondern fällte einen Grundsatzentscheid zum zukünftigen Umgang mit den ehehaften Rechten. Gemäss dem Urteil sind auch ehehafte Wasserrechte den geltenden Vorschriften zu unterstellen und grundsätzlich entschädigungslos abzulösen. Diese Ablösung hat bei «erster Gelegenheit» zu erfolgen und ist Voraussetzung für die Erneuerung der Wasserkraftanlagen. Für das Kraftwerk Hammer und andere auf Grundlage ehehafter Rechte betriebene Wasserkraftanlagen bedeutet dies, dass Sanierungsmassnahmen oder Neubauten erst nach einer Konzessionserteilung durch den zuständigen Kanton erfolgen dürfen. Und für diese Konzession müssen die betreffenden Kraftwerke auch die Vorgaben aus dem Gewässerschutzgesetz erfüllen.
Der ökologische Effekt dieses Urteils wird enorm sein – vor allem für heimische Wanderfische wie Bachforellen und Äschen. Die Betreiber zahlreicher Wasserkraftanlagen müssen nun die Restwasserbestimmungen vollständig umsetzen. In den betroffenen Gewässern wird es wieder eine garantierte, freie Fischwanderung geben. Das ist ein gewaltiger Gewinn. Ausserdem wird es durch den Rückbau stillgelegter Anlagen zu einem Revitalisierungsschub in Schweizer Gewässern kommen: Ein Grossteil der Anlagen mit ehehaften Wasserrechten steht nämlich still und die Ablösung dieser Rechte kann nun auch deren Rückbau einläuten. Zahlreiche Hindernisse würden so aus unseren Gewässern verschwinden und deren natürliche Vernetzung wiederhergestellt.
Über den Einzelfall hinaus
Auch wenn die Umsetzung des Urteils in der Breite noch aussteht, zeigt das Beispiel des Bundesgerichtsurteils zum Kraftwerk Hammer, wie wichtig das Verbandsbeschwerderecht nicht nur im konkreten Einzelfall ist. Ohne die Beschwerde des WWF würden die ehehaften Rechte auch heute noch fortbestehen und zahlreiche, modernisierungsbedürftige Kleinstwasserkraftwerke auch in Zukunft unsere Gewässer beeinträchtigen. Darüber hinaus würden diese ohne einen wesentlichen Beitrag zur Energieversorgung zu leisten, von Privilegien profitieren, die sie gegenüber Betreibern moderner, effizienter und ökologisch optimierter Anlagen bevorteilen.
Autorin
Salome Steiner
ist Geschäftsleiterin von Aqua Viva. Sie hat an der Universität Bern Biologie mit Schwerpunkt Ökologie studiert und engagiert sich seit über 10 Jahren für den Gewässerschutz.
Kontakt
Salome Steiner
Aqua Viva
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salome.steiner@aquaviva.ch