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21. Juni 2024

Vergrösserung des Grimsel-Stausees

Das Gebiet um den Grimsel-Stausee und das Gletschervorfeld Unteraar sind ökologisch wertvoll und landschaftlich eindrücklich. Durch die Erhöhung der beiden Staumauern Spitallamm und Seeuferegg werden grosse Teile davon überstaut. Aqua Viva hat gemeinsam mit dem Grimselverein und weiteren Umweltschutzorganisationen viele Jahre gegen diese Naturzerstörung gekämpft. Um Energiewende und Klimaschutz voranzubringen, ist Aqua Viva nun bereit, keine weiteren rechtlichen Schritte gegen die Erhöhung der Grimsel-Staumauern zu ergreifen. Im Gegenzug hat die KWO als Projektträgerin zugesagt, die durch die Stausee-Vergrösserung überstauten Lebensräume an anderer Stelle bestmöglich zu kompensieren und Massnahmen zum Schutz und zur Aufwertung zu ergreifen. Dies wurde in einer gemeinsamen Vereinbarung festgehalten.

«DIE FLUTUNG DER EINZIGARTIGEN GRIMSEL-LANDSCHAFT SCHMERZT UNS SEHR. Ein hoher Anspruch an die kompensierenden Massnahmen ist Bedingung, damit AN ANDERER STELLE NEUE LEBENSRÄUME FÜR TIERE UND PFLANZEN ENTSTEHEN.»

Salome Steiner, Geschäftsleiterin von Aqua Viva

Das Wichtigste in Kürze

    • Durch die Erhöhung der Staumauern Spitallamm und Seeuferegg verlieren wir wertvolle Lebensräume, darunter schützenswerte Moorflächen, jahrhundertealte Arvenwälder sowie eine grosse Fläche des bis zu 80 Jahre alten Gletschervorfeldes.

    • Die KWO hat sich im Dialog mit Aqua Viva und weiteren Umweltschutzorganisationen mit einem Massnahmenpaket zum Schutz und zur Aufwertung von wertvollen Lebensräumen verpflichtet. 

    • Beim Projekt an der Grimsel handelt es sich um eine Staumauer-Erhöhung, nicht um einen Neubau in einem unberührten Gebiet.

    • Der Verzicht auf weitere rechtliche Schritte seitens Aqua Viva ist das Ergebnis einer schwierigen und schmerzhaften Interessensabwägung. Wir tragen damit auch dem Wunsch Rechnung, die Energiewende und den Klimaschutz voranzubringen.

    Hintergründe

    GRIMSEL-STAUMAUER: EIN LANGES RINGEN ZWISCHEN SCHUTZ UND NUTZEN

    Bereits 1932 wurde im Grimsel-Gebiet ein Stausee gebaut. Er liegt nur wenig unterhalb der Grimsel-Passhöhe im Kanton Bern auf rund 1900 Meter Höhe. Der Stausee ist der grösste von mehreren benachbarten Stauseen, mit denen die KWO Strom produziert. Seit Jahrzehnten plant die KWO die Vergrösserung des Grimselsees, zuletzt im Jahre 2005 mit einem Baugesuch. Natur- und Umweltschutzorganisationen – darunter auch Aqua Viva – setzten sich gegen die weitere Flutung von Mooren und Gletschervorfeld in einer der wertvollsten Landschaften der Schweiz ein. Mehrere Einsprachen und Beschwerden haben dazu geführt, dass die KWO und der Kanton das Vorhaben an die gesetzlichen Vorgaben anpassen musste und bislang noch keine Konzession erteilt wurde. 

    Am 28. Mai 2024 hat die KWO ein Konzessionsgesuch beim Kanton Bern eingereicht. In diesem ist eine Anhebung des Stausees um 23 Meter vorgesehen. Das Volumen des Stausees würde damit von heute 94 Millionen Kubikmeter auf 170 Millionen Kubikmeter erhöht. Durch die Erhöhungen würden wertvolle Moorbiotope sowie teilweise jahrhundertealte Arven geflutet. Ein grosser heute freiliegender Teil des bis zu 80 Jahre alten Gletschervorfeldes würde zerstört. Im Vorfeld der Konzessions-Einreichung organisierte die KWO einen partizipativen Prozess, an dem Aqua Viva und weitere Umweltschutzorganisationen, Gemeinden und kantonale Behörden beteiligt waren. Im Rahmen dieses sogenannten «Grimsel-Dialogs» wurde insbesondere die gesetzlich vorgeschriebenen Ersatzmassnahmen nach Natur- und Heimatschutzgesetz und Restwassermengen gemäss Gewässerschutzgesetz konkretisiert und in einer Vereinbarung festgehalten.

    EIN SCHMERZHAFTER KOMPROMISS: WAS WIR IM SINNE VON NATUR UND LANDSCHAFT ERREICHEN KONNTEN

    Gemeinsam mit WWF, Pro Natura, Schweizer Alpen-Club SAC, Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL-FP), Schweizerischer Fischereiverband (SFV), Bernisch Kantonale Fischerei-Verband (BKFV), lokalen Fischer:innen (Pachtvereinigung Oberhasli) haben wir im Rahmen des Grimsel-Dialogs folgendes erreicht:

    • Restwasserregimes für 6 betroffene Wasserfassungen
      Aufgrund einer Schutz- und Nutzungsplanung (nach Art. 32 Bst. c GSchG) werden die Dotierwassermengen teilweise tiefer angesetzt als dies ohne eine solche vorgeschrieben wäre. Zur Kompensation werden an 4 anderen Wasserentnahmen im Gebiet der KWO höhere Dotierwassermengen vorgeschlagen.
    • Bauliche Massnahmen
      Insgesamt werden 7 bauliche Massnahmen zur strukturellen Aufwertung von Gewässern umgesetzt beispielsweise ein Rückbau einer Schwelle oder einer Sekundärfassung.
    • Revitalisierungsmaasnahmen
      Für den Verlust von terrestrischen Lebensräumen durch die Überflutung wurden 8 Massnahmen festgelegt. Diese reichen von der Aufwertung von Trockenstandorten (Wiesen und Weiden), über das Pflanzen von Arven-Bäumen bis zum Schutz bzw. der Aufwertung einer Flachmoorlandschaft (Oberaar) und eines Gletschervorfeldes (Steingletscher). Für den Verlust von aquatischen Lebensräumen durch die Überflutung hat man sich auf Revitalisierungs-Massnahmen, neue Dotierwassermengen und einen Teil-Nutzungsverzicht im Urbachtal geeinigt.
    • zusätzlichen Ausgleichsmassnahmen gemäss nationalen Runden Tisch Wasserkraft (und gemäss Art 9a Abs.3 Bst.e StromVG)
      Diese Massnahmen werden aktuell noch ausgehandelt. 
    MOORE, AUEN UND WÄLDER: WARUM DIE GRIMSEL-LANDSCHAFT SO WERTVOLL IST

    «Die Moorlandschaft Grimsel ist dank ihrer Ursprünglichkeit
    und der hohen Vielfalt an Pflanzen- und Tierarten
    eine der schönsten Moorlandschaften der Schweiz.
    »
    BAFU (2017): BLN 1706/1507 Berner Hochalpen und Aletsch-Bietschhorn-Gebiet.

    Das Gebiet um den Grimsel-Stausee gehört zum Vorfeld des Unteraargletschers und ist Teil des BLN-Gebiets 1706/1507 «Berner Hochalpen und Aletsch-Bietschhorn». Bis Ende der 1950er Jahre mündete die Gletscherzunge in den Stausee. Seitdem zieht sich der Unteraargletscher zurück und hinterlässt eine stetig wachsende Schwemmebene im Talboden – dort konnte sich die Natur bislang ungestört entwickeln. Auf älteren Schotter-Terrassen sowie auf den am längsten eisfreien Flächen am See-Ende haben sich bereits riesige Moosteppiche gebildet. Auf vernässten Standorten oberhalb des Stausees bestehen Flach- und Hochmoore. Sie bilden die Moorlandschaft Grimsel von nationaler Bedeutung. Durch die Erhöhung der Grimsel-Staumauer werden grosse Teile der Flach- und Hochmoore und des Gletschervorfeldes zerstört.

    Die Moorlandschaft Grimsel gehört zum Bundesinventar der Moorlandschaften und zählt damit zu den wertvollsten Schutzgebieten der Schweiz. Nach dem Schweizer Nationalpark (1907) ist sie zudem das älteste Schutzgebiet der Schweiz (1937). Ursprünglich reichte der Schutzperimeter bis an die Ufer des heutigen Stausees. 2004 verkleinerte der Bundesrat aufgrund des geplanten Projekts den Schutzperimeter: Dessen Grenze liegt seitdem 27 Meter oberhalb des Grimsel-Stausees und bietet somit ausreichend Platz für die geplante Vergrösserung. Dennoch ist der ökologische Wert der ehemaligen Perimeterflächen ungeschmälert und dem des heutigen, kleineren Schutzgebiets gleichzustellen.

    Das BAFU beschreibt die heutigen Schutzgebietsflächen im Bundesinevantar der Moorlandschaften wie folgt:
    «Weil das Gebiet nicht beweidet wird, sind die Moore in einem optimalen und für die Moorlandschaften der Schweizer Alpen einzigartigen Erhaltungszustand. Die Vielfalt an Pflanzengesellschaften der Moore ist hoch, und auf wenigen Quadratmetern wachsen neben Klein- und Grosseggenriedern Torfmoospolster, Quellfluren und nasse Hochstaudenfluren. […] Nicht nur die Moore, auch die übrige alpine Vegetation befindet sich in einem naturnahen Zustand. Alpine Rasen, Hochstaudenfluren, schöne Zwergstrauchbestände mit Wacholder, Alpenrosen, Heidelbeeren und Heidekraut, Grünerlenbestände und Pioniervegetation bilden ein vielfältiges Mosaik. Besonders erwähnenswert ist der lockere Wald aus Arven, Föhren, Lärchen und Birken am Ufer des Grimselsees, der als Urwald bezeichnet werden kann. Der Arvenwald gilt als der schönste des Berner Oberlands und prägt zusammen mit den Rundhöckern und den Mooren ein besonders malerisches Gebiet.»

    BAFU (2017): Bundesinventar der Moorlandschaften von besonderer Schönheit und von nationaler Bedeutung.

    UNSER ENTSCHEID: WARUM AQUA VIVA KEINE WEITEREN RECHTLICHEN SCHRITTE ERGREIFT

    Als Gewässerschutzorganisation ist Aqua Viva dem Erhalt und der Aufwertung von Gewässerlebensräumen verpflichtet. Aqua Viva ist im Einzelfall dazu bereit, den Ausbau bestehender Infrastrukturen zugunsten der erneuerbaren Energienutzung vor allem der Erzeugung von Winterstrom mitzutragen. Hierzu prüfen wir jedes Projekt einzeln und wägen zwischen unterschiedlichen Faktoren ab.

    • Ökologischer Wert
      Als Gewässerschutzorganisation ist für uns der wichtigste Faktor der ökologische Wert eines Gebiets. Wie vielfältig und dynamisch ist ein Gebiet? Welche Arten finden hier Lebensraum und in welcher Zahl? Über welches Potential verfügt ein Gebiet? etc. Das Grimsel-Gebiet ist ökologisch wertvoll und absolut schützenswert. An dieser Einschätzung hat sich bis heute nichts verändert.

    • Bereits erfolgte Beeinträchtigung des Gebiets
      Es macht einen Unterschied, ob ein Kraftwerk in einem bislang unberührten oder ökologisch intakten Gebiet erfolgen soll oder ob es um den Ausbau bestehender Infrastruktur geht, wie am Grimsel-Stausee. Aqua Viva wehrt sich gegen die Zerstörung unberührter Gewässerlandschaften und wird dies auch weiterhin tun. Bei Projekten wie der bereits bewilligten und von den Umweltverbänden nicht bekämpften Vergrösserung des Stausees Göscheneralp oder des Stausees Lago Bianco auf dem Berninapass bietet Aqua Viva im Rahmen des geltenden Rechts Hand für die Optimierung bestehender Anlagen.

    • Beurteilung der ökologischen Ersatzmassnahmen
      Zerstörte Natur können wir nicht einfach wiederherstellen. Da unsere Gesellschaft jedoch auf verschiedenste Infrastruktur angewiesen ist, lässt sich Naturzerstörung nicht in allen Fällen verhindern. Sie muss jedoch laut Gesetzgeber an anderer Stelle ausgeglichen werden. In der Schweiz haben wir laut BFE bereits 99,5 Prozent des Wasserkraftpotentials genutzt. Auch deshalb gelten nur noch weniger als 5 Prozent des Gewässernetzes als intakt. Kein anderer Lebensraum ist so stark beeinträchtigt wie unsere Gewässer. Dementsprechend müssen wir für unsere Gewässer, gerade wenn es sich um wertvolle Gebiete wie in der Grimsel-Landschaft handelt, einen besonders hohen Massstab für Ersatzmassnahmen anlegen. Diesen hohen Massstab sehen wir nach Abschluss der Verhandlungen mit der KWO als gegeben.

    Ihr Kontakt

    Salome Steiner

    Salome Steiner

    Geschäftsleiterin

    +41 52 510 14 50

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