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Bild: © Jens Naber - stock.adobe.com

Artikel aus aqua viva 4/2023

Raumsicherung für Gewässerrevitalisierungen

Die Umsetzung von Revitalisierungsprojekten ist wesentlich von der Verfügbarkeit von Raum abhängig. Die Kombination von verschiedenen raumplanerischen Instrumenten zur Raumsicherung und von Werkzeugen bei der Landbeschaffung können den Weg vereinfachen und zu erfolgreichen Projekten führen.  

Von Simone Knecht und Severin Caluori


«Der Nutzungsdruck ist hoch und von Interessenskonflikten geprägt. Ohne zusätzlichen Raum ist jedoch kaum eine Revitalisierung möglich.»

Simone Knecht, Wasser-Agenda 21


Gemäss Bundesauftrag sind in der Schweiz bis 2090 ungefähr 4000 Kilometer Fliessgewässer zu revitalisieren. Die Umsetzungskontrolle des Bundes zeigt, dass das angestrebte jährliche Ziel aktuell nicht erreicht wird (BAFU 2021). Gemäss einer Studie von Ecoplan liegt dies vor allem daran, dass zu wenig Raum verfügbar ist (Ecoplan 2018). Der Nutzungsdruck ist hoch und von Interessenskonflikten geprägt. Ohne zusätzlichen Raum ist jedoch kaum eine Revitalisierung möglich.

Wasser-Agenda 21 hat 2017 mittels Expert:innen-Befragung Fallbeispiele von Revitalisierungsprojekten zusammengetragen. Die Fallbeispiele sind auf der Website www.plattform-renaturierung.ch veröffentlicht und enthalten Ideen und Lösungsansätze für mögliche Vorgehensweisen zur Raumsicherung. Ausserdem sind Kontakte enthalten, damit Erfahrungen direkt ausgetauscht werden können. Die Fallbeispiele zeigen, wie vielfältig vorgegangen werden kann, um Raum für Revitalisierungsprojekte verfügbar zu machen. Zusätzlich wurde ein Merkblatt mit einer Übersicht über die sieben zielführendsten Werkzeuge erstellt. Der vorliegende Artikel fasst diese sieben Werkzeuge zusammen. Dabei wird der Begriff Raumsicherung sowohl für die planerische Sicherung von Raum als auch für den konkreten Landerwerb verwendet.

Diese Werkzeuge wurden auch in einem Workshop an der Tagung vorgestellt. Daneben wurden die häufigsten Stolpersteine bei der Raumsicherung und mögliche Lösungsansätze diskutiert. Es wurden vermehrt die Folgen des Landerwerbs genannt, namentlich die Kompensation von Fruchtfolgeflächen, weshalb dieses Thema ebenfalls im Artikel aufgegriffen wird.

Raum sichern mit übergeordneten gewässerbezogenen Planungsinstrumenten

Mit gewässerbezogenen Konzepten und Sach- oder Richtplänen können grössere Räume thematisch umfassend und weitblickend betrachtet werden. Solche Planungsinstrumente koordinieren fachlich, stimmen Einzelvorhaben aufeinander ab und holen die Sicht der Betroffenen ab. Synergien und Konflikte werden ersichtlich. Zudem können die Betroffenen für die Vorhaben sensibilisiert werden und die Instrumente dienen als Türöffner und bereiten das Terrain vor. Der Planungshorizont kann gross sein, entsprechend sind diese übergeordneten Planungsinstrumente frühzeitig und vor dem konkreten Landerwerb respektive vor den Umsetzungsprojekten anzugehen.

In Konzepten können entweder für Gewässer (z.B. Gewässerentwicklungskonzept GEK) oder für ganze Landschaften (Landschaftsentwicklungskonzept LEK) Entwicklungsziele und die dazu erforderlichen Massnahmen definiert werden. Sie sind jedoch nicht verbindlich. Auch die strategische Revitalisierungsplanung kann als solches Instrument verstanden werden. Sach- oder Richtpläne hingegen sind behördenverbindlich und gewährleisten, dass Hochwasserschutz- und Gewässerrevitalisierungsmassnahmen unter Berücksichtigung des gesamten Einzugsgebiets und aller Interessen geplant und umgesetzt werden können. Sie zeigen, wie der Handlungsspielraum ausgelegt werden kann und welcher Raum welcher Nutzung zugesprochen wird. So wurde an der Kander 2009 in einem ersten Schritt ein Gewässerentwicklungskonzept erstellt, um den Rahmen für künftige Wasserbauprojekte entlang der Kander festzulegen. Es wurden Defizite lokalisiert und Bedürfnisse formuliert, Ziele priorisiert und Massnahmen festgelegt. Darauf basierend wurde in einem zweiten Schritt der Gewässerrichtplan Kander erarbeitet. Er enthält behördenverbindliche Festlegungen, wie zum Beispiel den Gewässerentwicklungsraum, um den Raum frei zu halten von weiteren Bauzonen. Erst in einem dritten Schritt erfolgten konkrete Umsetzungsprojekte.

Eine Gewässerrichtplankarte zeigt einen Ausschnitt vom Südufer des Thunersees mit Flussaufweitungen.
Ausschnitt aus der Gewässerrichtplankarte mit Perimeter für Flussaufweitungen. Karte: © Tiefbauamt des Kantons Bern

Raum sichern mit landwirtschaftlichen Planungsinstrumenten

Gute Chancen zur Raumsicherung für Revitalisierungen bieten Landumlegungen (gleichbedeutend mit Bodenverbesserung, [Gesamt-] Melioration). Hier wird die landwirtschaftliche Infrastruktur verbessert und die Landwirt:innen profitieren ebenfalls durch die Arrondierung der Parzellen, Strukturverbesserungen, einem neuen Wegenetz etc. Durch die aktive Beteiligung der Landwirtschaft können Einsprachen verhindert werden.

Durch Gesamtmeliorationen, grosse Infrastrukturprojekte oder übergeordnete Planungen kann (auf freiwilliger Basis) eine landwirtschaftliche Planung ausgelöst werden. Darin werden die landwirtschaftlichen Entwicklungsbedürfnisse eruiert und Lösungen entwickelt, wie die Landwirtschaft in die Gesamtentwicklung des Raums integriert werden kann. Diese Grundlage erleichtert die Umsetzung von LEK’s oder Gesamtmeliorationen. Der frühe Einbezug der landwirtschaftlichen Akteure führt somit auch zu besseren Revitalisierungsprojekten. Dieses Instrument kommt aufgrund des grossen Zeithorizontes jedoch insbesondere bei grösseren Projekten zum Zug.

Grundeigentümerverbindliche Raumsicherung

Grundeigentümerverbindliche Raumsicherung kann durch Plangenehmigungsverfahren erfolgen, welche teils in Kombination mit einer Baubewilligung stehen. Je nach Kanton sind die Möglichkeiten und Begrifflichkeiten unterschiedlich. Die Nutzungsplanung regelt, wo und in welchem Umfang gebaut werden darf. Die Zuordnung einer möglichen Revitalisierungsfläche zu einer Nichtbauzone (Freihaltegebiet, Gewässerraum, Grünzone…) vereinfacht die Umsetzung des Projekts. Mit Sondernutzungsplanungen (Gestaltungs-, Quartier-, Erschliessungs- oder Bebauungsplan) kann von der Zonenordnung abgewichen werden. Indem Bestimmungen zur Nutzung und Gestaltung festgelegt werden, können ebenfalls die Weichen für ein Aufwertungsprojekt gestellt und definiert werden.

Landerwerb mit aktiver Bodenpolitik, Dienstbarkeiten und Nutzungsverträgen 

Neben der planerischen Raumsicherung gibt es auch für die Raumbeschaffung bewährte Werkzeuge. So erleichtert eine aktive Bodenpolitik mit langfristiger Grundeigentumsstrategie der öffentlichen Hand die Realisierung von Revitalisierungsprojekten. Damit der öffentlichen Hand genügend Land zur Verfügung steht, sind verschiedene Strategien denkbar.

  • Bereits vorhandene Grundstücke als potenzielle Realersatzflächen reservieren. Strategisch Flächen erwerben und arrondieren – im Hinblick auf ein konkretes Projekt oder Flächen, die später als Realersatzflächen wieder abgegeben oder in eine Landumlegung eingeworfen werden können.
  • Finanzielle Mittel für eine aktive Bodenpolitik bereitstellen.

NGOs und Ökofonds können ebenfalls eine aktive Bodenpolitik betreiben, unter Berücksichtigung rechtlicher Rahmenbedingungen (Bundesgesetz über bäuerliches Bodenrecht). Grundsätzlich soll der Raumerwerb kaskadenförmig angegangen werden. Wenn der freihändige Landerwerb nicht möglich ist, kann eine Landumlegung erfolgen. Eine formelle Enteignung ist theoretisch möglich, aber nur im Notfall anzudenken. Hier ist mit einem langen Rechtsprozess zu rechnen.

Wenn der Landerwerb nicht zur Diskussion steht, kann die Regelung durch eine Dienstbarkeit (zu Gunsten des Kantons oder der Gemeinde) zielführend sein. Der Dienstbarkeitsvertrag wird im Grundbuch öffentlich gemacht. Im Landwirtschaftsgebiet verbleiben die Flächen bei den Bewirtschaftenden, welche somit Anspruch auf Direktzahlungen haben. Nutzungsverträge sind hingegen nur zwischen Vertragspartnern gültig (z.B. Pachtvertrag). In Ergänzung zur Dienstbarkeit können Bewirtschaftungsverträge vereinbart werden, um beispielsweise Leistungen für die Biodiversität zu entschädigen.

Entschädigungen für nachteilige Auswirkungen führen zu mehr Zustimmung

Eine gesicherte Finanzierung ist die Grundvoraussetzung für erfolgreiche Projekte. Dabei ist zu beachten, dass neben der Entschädigung für das Grundstück zusätzliche Kostennachteile miteingerechnet werden: Umzugskosten, Ertragseinbussen, längerer Anfahrtsweg... Bei nicht entschädigungspflichtigen Einschränkungen für die Nutzung oder die Bewirtschaftung können verschiedene Formen des Entgegenkommens abgewogen werden, um die Zustimmung für das Projekt bei den Beteiligten zu erhalten. Neben finanziellen Entschädigungen für Vermögenseinbussen oder andere Nachteile kann beispielsweise auch eine Verbesserung am Grundstück wie Geländemodellierung, Umlegung von Zufahrtswegen, Beseitigung alter Bauten etc. zielführend sein. Auch die Entschädigung mit Naturalien (Überlassen des Holzes) ist oft erwünscht.

Gut verhandeln ist zentral

Im gesamten Prozess der Raumsicherung ist die Art und Weise der Verhandlungsführung entscheidend. Es hat sich gezeigt, dass verschiedene Faktoren den Prozess begünstigen und somit zum Erfolg des Projektes beitragen.

  • Vertrauensperson: Eine lokale, fachlich kompetente Vertrauensperson ist der Schlüsselfaktor.
  • Sensibilisierung: Mittels Vorzeigeprojekten, Informationsveranstaltungen, Modulen bei der Ausbildung.
  • Akteursanalyse/Partizipation: Ganzheitlich alle Akteure erfassen, Kritiker identifizieren, entsprechende Gegenargumente zusammentragen und in Prozess einbinden
  • Vorbereitung: Gespräche gut vorbereiten (Argumente zusammenstellen, Win- Win-Situationen schaffen, Kompetenz erwerben…).
  • Mediation: Frühzeitig in Konfliktsituationen eine neutrale Drittperson einbeziehen.
  • Finanzierungssicherheit aufzeigen.

Fruchtfolgeflächen

Die meisten Gewässer der Schweiz wurden einst begradig und verschmälert. Für die Aufwertung eines Gewässers wird nun manchmal ackerbaulich genutztes Land benötigt, das ihm einst abgewonnen wurde. Erfüllen diese Flächen die geforderte Qualität, stehen sie unter dem Schutz des Sachplans Fruchtfolgeflächen (FFF). In diesem Fall kollidieren zwei Interessen des Bundes: Die Gewässeraufwertung und der Erhalt der wertvollsten Ackerböden. Der Bund delegiert beide Aufgaben an die Kantone. Die Kantone führen jeweils ein FFF-Inventar. Grundsätzlich sind kantonal inventarisierte Böden zu kompensieren, wenn sie für bodenverändernde Nutzungen beansprucht werden. Die Kompensation erfolgt meist mittels der Verbesserung anderer, beschädigter Ackerböden. Im Kanton Bern ist dies hinsichtlich der Gewässeraufwertungen im Einzelfall zu prüfen: Es kann vorkommen, dass besonders prioritäre Aufwertungen von der Kompensationspflicht befreit werden. Eine weitere Möglichkeit im Kanton Bern ist, die Erhebung noch nicht inventarisierter Böden als Fruchtfolgeflächen zu prüfen und dort zu kompensieren. Ausserdem kann die Auszonung ackerfähigen Baulands geprüft werden.

Eine Frau steht auf einer Weide mit Kühen und macht eine Bodenkartierung.
Bodenkartierung für den Ersatz von Fruchtfolgeflächen. Bild: © IC Infraconsult, 2021

Fazit

Für den Landerwerb ist ein langfristiger Planungshorizont hilfreich. Die Chancen für eine erfolgreiche Revitalisierung durch genügend Raum steigen, wenn mit raumplanerischen Instrumenten frühzeitig Raum gesichert werden kann. Dies bietet die Gelegenheit, Synergien auszuloten, mittels Mitwirkungsverfahren die Zustimmung zum Projekt zu vergrössern und den Weg für den konkreten Landerwerb zu bereiten. Mit der Kombination von verschiedenen Instrumenten gelingt diese stufenweise Herangehensweise von der nicht verbindlichen planerischen Raumsicherung mit einer höheren räumlichen Flughöhe zum grundeigentümerverbindlichen Landerwerb. Dabei sind die kantonal oder lokal unterschiedlichen Eigenheiten zu beachten. Die Fallbeispielsammlung von Wasser-Agenda 21 bietet eine gute Hilfestellung, um verschiedene Lösungsansätze und andere Erfahrungen kennenzulernen.

Autor:innen

Simone Knecht
hat an der Universität Zürich und Bern Geographie mit Fokus Hydrologie studiert und arbeitet bei Wasser-Agenda 21 als Leiterin der Plattform Revitalisierung.

Kontakt
Wasser-Agenda 21
Plattform Revitalisierung
Überlandstrasse 133, 8600 Dübendorf
simone.knecht@wa21.ch
www.wa21.ch

Severin Caluori
hat an der ZHAW Umweltingenieurwesen studiert und arbeitet beim Planungsbüro IC Infraconsult in den Geschäftsbereichen Raum und Mobilität sowie Umwelt.

Kontakt
IC Infraconsult AG
Kasernenstrasse 27, 3013 Bern
severin.caluori@infraconsult.ch
infraconsult.ch 

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