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Bild: © emmor - stock.adobe.com

Bedrohtes Landschaftserbe und Wiege neuer Lebensräume

Gletschervorfelder sind Orte, wo das Leben wieder neu Fuss fasst: Pionierpflanzen erobern den kahlen Boden und bereiten ein Umfeld für eine Stück für Stück reicher werdende alpine Artenvielfalt. Sie sind stille Wunder der Natur – selten, unberührt und voller Leben. Doch dieses fragile Paradies ist zu Gunsten des Ausbaus der Wasserkraft bedroht.

Das Gespräch führte Christine Ahrend

Portraitbild Dominik Siegrist, Vorstandsmitglied von Aqua Viva

«Gletschervorfelder sind Zeugen eines grossen Verlusts und wir müssen wieder lernen, achtsam mit ihnen umzugehen.»

Dominik Siegrist, Vorstandsmitglied von Aqua Viva

Herr Siegrist, was bedeutet es Ihnen, wenn Sie in den Alpen über das Vorfeld eines Gletschers wandern?

In den Gletschervorfeldern erlebe ich urtümliche, wilde Orte, wie es sie in unseren vom Menschen geprägten Landschaften nur noch wenige gibt. Gletschervorfelder liegen nicht an der Postautohaltestelle, sondern man erreicht sie oft erst mit einem Fussaufstieg von mehreren Stunden. Dass sie Teil eines langen Wandertages im Hoch­gebirge sind, macht deren Besuch für mich zu einem besonderen Erlebnis.

Gletschervorfelder sind stille Zeugen von vielen tausend Jahren Erdgeschichte. Was macht diese Landschaft so einzigartig?

Gletscher und Gletschervorfelder machen die Naturgeschichte der Alpen sichtbar. Sie bilden ein wichtiges Symbol für den Klimawandel und seine gravierenden Folgen. Sie sind Zeugen eines grossen Verlusts und wir müssen wieder lernen, achtsam mit ihnen umzugehen.

Auf den Gletschervorfeldern finden sich rasch Pionierpflanzen wie der Gegenblättrige Steinbrech oder Fleischers Weidenröschen ein und lassen die karge Umgebung erblühen. Welche Rolle spielen diese Flächen im alpinen Ökosystem?

Angesichts der globalen Biodiversitätskrise sind die neu entstehenden Gletschervorfelder eine Chance für Tiere und Pflanzen. Die Klimaerwärmung bedroht unter anderem kälteliebende Arten. In den wachsenden Gletschervorfeldern erhalten sie neue Lebensräume.

Müssen wir es akzeptieren, dass ein Teil dieser wertvollen Lebens-räume verschwindet, um kurzfristig Energie zu gewinnen?

Die Energiewirtschaft sieht den Rückgang der Gletschervorfelder als Einladung, um neue Wasserkraftwerke zu bauen. Doch auf den Bau von Stauseen in bisher unberührten Naturgebieten sollte verzichtet werden. Die Zerstörung dieser einmaligen Naturlandschaften ist nicht nötig. Die Energiewende und der Klimaschutz sind umweltverträglicher realisierbar. In erster Linie müssen wir die Solarenergie nutzen, auf Gebäuden und Infrastrukturen bestehen dafür genügend Möglichkeiten.

Herr Siegrist, vielen Dank für das Gespräch.

Portraitbild Dominik Siegrist

Dominik Siegrist

war bis 2023 als Professor für Landschaftsplanung an der Ostschweizer Fachhochschule in Rapperswil tätig. Zum Umwelt- und Klimaschutz in den Alpen hat er zahlreiche Artikel und Bücher veröffent­licht. Seit 2024 ist er Vorstandsmitglied von Aqua Viva.

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