Skip to main content

Bild: © XaMaps - stock.adobe.com

Im Schatten des politischen Fokus

Biodiversität betrifft viele verschiedene Aspekte von Politik – Energieproduktion, invasive Arten, Pestizide oder die Rückkehr des Wolfes sind nur wenige davon. Dementsprechend sollte eine effektive Biodiversitätspolitik auch in vielen verschiedenen Bereichen präsent sein. Ein Forschungsprojekt der WSL und der Eawag zeigt, dass dies kaum der Fall ist.

von Manuel Fischer & Ueli Reber


«Biodiversität kommt in Politik-Bereichen wie der Raumplanung, dem Verkehrs- und Transportwesen oder der Energie- und Wirtschaftspolitik kaum vor. »

Ueli Reber,  Eawag

Biodiversität ist ein Querschnittsthema, welches idealerweise bei der Gesetzgebung in allen Politikbereichen mitberücksichtigt wird. Ein solches Biodiversitäts-Mainstreaming, also eine Integration des Themas in die unterschiedlichen Politikbereiche, ist jedoch eine grosse Herausforderung. WSL und Eawag sind daher der Frage auf den Grund gegangen, welchen Stellenwert die Biodiversität in der Politik einnimmt, wie sich die Aufmerksamkeit dafür über die Zeit entwickelt hat und in welchen Politikbereichen und Phasen des Politikprozesses die Biodiversität mehr oder weniger präsent ist.

Für die Studie haben die Forscher:innen 440 000 von Bundesversammlung, Bundesrat und den eidgenössischen Gerichten zwischen 1999 und 2018 veröffentlichte Dokumente gesichtet und 7000 davon als relevant identifiziert. Diese Dokumente können verschiedenen Politikbereichen zugeschrieben werden und beziehen sich auf drei Phasen des Politikprozesses: Die Erarbeitung von Politiken durch Parlament und Bundesrat, deren Einführung durch Parlament, Bundesrat oder Stimmbevölkerung und deren Interpretation durch die Gerichte. Die Studienergebnisse zeigen, dass das Thema gegenüber anderen Themen in der Schweizer Politik nicht wichtiger geworden ist und nur von wenigen Akteuren in den Politikprozess eingebracht wird. Allerdings wird dabei der Begriff «Biodiversität» häufiger verwendet, was auf eine kohärentere Behandlung des Themas in der Politik hinweisen könnte.

Blinde Flecken in diversen Politsektoren

Das politische Interesse für die Biodiversität ist über die letzten 20 Jahre relativ konstant geblieben. Allerdings haben sich die Themen verschoben. So waren Schutzgebiete beispielsweise früher präsenter, während in jüngster Zeit das Thema Wolf wichtiger war. Auch beschränkt sich die Aufmerksamkeit für die Biodiversität auf die Bereiche der Umwelt- und Landwirtschaftspolitik. Während es in anderen Bereichen wie der Raumplanung, dem Verkehrs- und Transportwesen oder der Energie- und Wirtschaftspolitik kaum vorkommt. Auch ist die Aufmerksamkeit für Biodiversitätspolitik in allen Phasen des Politikprozesses relativ stabil geblieben, die jährlichen Schwankungen sind jedoch gerade in der Einführungsphase beachtlich. Während in einigen Jahren mehr als fünf Prozent aller Dokumente einen Biodiversitätsbezug aufwiesen, sind es in anderen weniger als zwei Prozent. Dies liegt jedoch auch an der vergleichsweise geringen Anzahl der jährlich produzierten Dokumente zum Thema.

Der Begriff Biodiversität etabliert sich

Positiv ist die Tatsache, dass der Begriff Biodiversität über die Zeit immer häufiger verwendet wird. In der Erarbeitungsphase ist mittlerweile in rund einem Drittel der Fälle explizit von «Biodiversität» die Rede. Diese Entwicklung ist insofern positiv zu beurteilen, als dass ein einheitlicher Begriff die Kohärenz zwischen den ansonsten fragmentierten Themen fördern kann. Thematisch teilweise sehr unterschiedliche Politiken lassen sich so dem Thema Biodiversität zuordnen. Aus einem Haufen loser Themen kann ein stärker koordiniertes politisches Programm entstehen. Das dürfte der Biodiversitätspolitik in Zukunft mehr Schlagkraft verleihen. Insbesondere in der Einführungs- und Interpretationsphase der Politik besteht hier jedoch noch viel Luft nach oben.

Kaum Zugpferde

Untersucht wurden für die Erarbeitungsphase jene Akteure, die selbst biodiversitätsrelevante Dokumente produzieren. Es sind aber diesbezüglich nur wenige Akteure aktiv. Bei den Akteuren der Bundesverwaltung steht, wenig erstaunlich, das Departement für Umwelt-, Transport, Kommunikation und Verkehr (UVEK) an der Spitze. Auch das Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) produziert deutlich mehr biodiversitätsrelevante Dokumente als andere. Es sind also die für Umwelt- und Landwirtschaftspolitik verantwortlichen Akteure, zu deren Politikbereichen die meisten biodiversitätsrelevanten Dokumente gehören. Bei den Parlamentsmitgliedern ist die Situation ähnlich intuitiv: Zwar beschäftigen sich die meisten Politiker:innen während ihrer Amtszeit mindestens einmal mit Biodiversität. Es sind letztlich aber nur ein paar wenige Personen, die sich voll und ganz dem Thema verschreiben. Sie produzieren das Gros der biodiversitätsrelevanten Dokumente und lassen diese in die verschiedenen Politikbereiche einfliessen. Dabei handelt es sich vor allem um Personen aus der politischen Mitte sowie der linken Hälfte des politischen Spektrums, auf deren persönlicher Agenda die Biodiversität einen der vorderen Plätze einnimmt.

Die Resultate der Studie zeigen, dass Biodiversität als Thema in Dokumenten von Parlament, Bundesrat oder eidgenössischen Gerichten in den letzten 20 Jahren keine wachsende Aufmerksamkeit erfahren hat und dass nur relativ wenige Akteure das Thema überhaupt in politische Dokumente einfliessen lassen. Entsprechend sind wir weit entfernt von einem Biodiversitäts-Mainstreaming. Allerdings kann eine häufigere Verwendung des Begriffes «Biodiversität» festgestellt werden, was für die Integration als kohärentes Thema in verschiedene Politikbereiche möglicherweise von Vorteil ist.

Das Forschungsprojekt «How has Swiss biodiversity policy been performing over the last 30 years?» wurde vom EHT-Rat im Rahmen der «Blue-Green Biodiversity» Forschungsinitiative von Eawag und WSL gefördert. Neben den Autoren gehörten auch Felix Kienast (WSL), Anna Hersperger (WSL), Rolf Grütter (WSL), Robin Benz (WSL) und Karin Ingold (Eawag und Universität Bern) zum Projekteam. 

Manuel Fischer

ist Forschungsgruppenleiter für Politikanalyse und Umweltgovernance am Departement für Umweltsozialwissenschaften der Eawag und Titularprofessor für Politikwissenschaften an der Universität Bern.

Ueli Reber

ist Postdoktorand in der Gruppe Policy Analysis and Environmental Governance (PEGO) an der Eawag und der Universität Bern. Seine Forschungsinteressen umfassen Umweltpolitik, politische Kommunikation, Transnationalisierung und computergestützte Methoden für die Inhalts- und Netzwerkanalyse.

Mehr Gewässernews

Von Mythen und Missverständnissen

Was ist eigentlich eine Beschwerde und was eine Einsprache? Können Umweltschutzorganisationen ein Projekt verhindern? Und wann ist ein Beschwerdeverfahren wirklich abgeschlossen? Im Gespräch mit Franziska Scheuber und Michael Casanova von Pro Natura bringen wir Licht ins Dunkel.

Aufruf zur Nichteinhaltung des Gesetzes

Vielen Politiker:innen ist das Verbandsbeschwerderecht ein Dorn im Auge beim Ausbau der erneuerbaren Energien, vor allem seit der Verabschiedung des Stromgesetzes. Martina Munz erklärt im Gespräch, warum die Kritik nicht gerechtfertigt ist und welche Ansätze und Strategien wir wirklich brauchen.

Sachlich begründet und bewährt

Seit nahezu 60 Jahren gibt es in der Schweiz das Verbandsbeschwerderecht. Das Instrument hat sich als überaus wirksam erwiesen, wird jedoch immer wieder politisch infrage gestellt. Arnold Marti stellt uns das Verbandsbeschwerderecht vor und erklärt, warum es nicht nur für unsere Gewässer so immens wichtig ist.

Kraftwerk Emmenweid: Fischgängig dank Einsprache und Verhandlung

Fische wandern zur Nahrungssuche und Fortpflanzung oft viele Kilometer und sind deshalb auf vernetzte, durchgängige Gewässer angewiesen. Ohne das Verbandsbeschwerderecht wäre ihnen der Weg in unseren Flüssen häufig versperrt. Dies zeigt die Sanierung des Wasserkraftwerks Emmenweid.

Grundsätzlich von Bedeutung

Das Bundesgerichtsurteil zur Aufhebung der ehehaften Rechte war ein historischer Moment für den Gewässerschutz: Ein aus der Zeit gefallenes Privileg mit massiven Auswirkungen auf Fische und andere Wasserbewohner wurde aufgehoben. Möglich gemacht hat diesen Erfolg eine Beschwerde.