Skip to main content

Artikel aus aqua viva 2/2023

Grundwasser und Klimawandel

Grundwasser ist eine wichtige natürliche Ressource, die für die Trinkwasserversorgung, menschliche Aktivitäten, die Landwirtschaft und das Funktionieren der Ökosysteme eine entscheidende Rolle spielt. Allerdings stehen die Grundwasserressourcen in der Schweiz aufgrund des Klimawandels vor grossen Herausforderungen. Der vorliegende Artikel gibt Einblick in die vorhergesagten Veränderungen.

Von Christian Moeck, Joaquin Jimenez-Martinez, Pierre-Yves Jeannin, Oliver S. Schilling & Mario Schirmer


«Im Zusammenhang mit dem Klimawandel ist ein integrales Management der Bewirtschaftung und des Schutzes des Grundwassers erforderlich.»

Christian Moeck, Hydrogeologe an der Eawag

In der Schweiz ist das Grundwasser eine wichtige Ressource insbesondere in Regionen, in denen Oberflächenwasser knapp oder nicht von ausreichender Qualität vorliegt. Da das Grundwasser mit einem Anteil von 80 Prozent für die Schweizer Trinkwasserproduktion von überragender Wichtigkeit ist, ist sein Schutz und seine nachhaltige Nutzung ein Thema von grosser Bedeutung (SVGW 2020). Allerdings stehen die Grundwasserressourcen in der Schweiz (z.B. Arnoux et al. 2020, Cochand et al. 2021, Epting et al. 2020), wie in vielen anderen Teilen der Welt, aufgrund des Klimawandels vor grossen Herausforderungen (Scanlon et al. 2023, Taylor et al. 2013). Dürren und Trockenperioden sind eine der sichtbarsten Manifestationen der durch den Klimawandel verursachten Veränderungen der Niederschlags- und Temperaturmuster (CH2018 2018). In der Schweiz haben Dürren in den letzten Jahren an Häufigkeit zugenommen (Brunner et al. 2019). Während dieser Ereignisse sank der Grundwasserspiegel in einigen Regionen erheblich, was zu negativen Auswirkungen unter anderem für die Trinkwasserversorgung führte (SVGW 2020). Ein fundiertes Wissen über Verfügbarkeit und Resilienz des Grundwassers gegen veränderte klimatische Bedingungen und Extreme ist für alle grundwasserrelevanten Themen entscheidend und für die Entwicklung nachhaltiger Bewirtschaftungsstrategien unerlässlich (BAFU 2012).

Abbildung 1. Prognostizierte Veränderungen in Temperatur und Niederschlag bis Mitte dieses Jahrhundert für die Emissionsszenarien RCP2.6 und 8.5 für die fünf Grossregionen der Schweiz. Die Veränderungen werden im Vergleich zum Standardzeitraum 1981–2010 gezeigt. Wenn die Grundwasserneubildung im Sommer abnimmt, müssen wir das verbliebene Wasser besser vor Verunreinigungen wie beispielsweise Nitrat oder Pflanzenschutzmitteln schützen.

Klimaprognosen

Prognosen zum Klimawandel in der Schweiz, basierend auf Simulationen vom National Centre for Climate Services (NCSS), zeigen, dass in den kommenden Jahrzehnten erhebliche Veränderungen bei Temperatur, Niederschlag und extremen Wetterereignissen auftreten (CH2018, 2018). Diese Veränderungen werden je nach Region unterschiedlich ausfallen, wobei die Veränderungen stark davon abhängen, wie sich die Menge der Treibhausgase in der Atmosphäre entwickelt (Feigenwinter et al. 2018). Die hier vorgestellten Prognosen basieren auf zwei Emissionsszenarien für die fünf Grossregionen der Schweiz bis Mitte dieses Jahrhunderts (Abb. 1). Das Emissionsszenario RCP8.5 zeigt die Auswirkungen des ungebremsten Anstieges der Treibhausgasemissionen, wohingegen eine starke globale Reduktion der Treibhausgasemissionen im Emissionsszenario RCP2.6 angenommen wird. 

Für alle Grossregionen wird ein Temperaturanstieg im Winter und Sommer erwartet, wobei im Sommer die Erwärmung grösser sein wird als im Winter. Die Niederschläge werden in der kalten Jahreszeit in Zukunft wahrscheinlich zunehmen, wohingegen im Sommer voraussichtlich weniger Regen fallen wird (Keller et al. 2017). Zusätzlich dürften Starkregenereignisse an Häufigkeit und Intensität zunehmen (Fischer et al. 2015, CH2018 2018). Diese extremen Wetterereignisse können zu Überschwemmungen und die häufigeren Hitzewellen zu einem erhöhten Wasserbedarf führen. Die variablen Niederschläge werden sich wahrscheinlich mit längeren Dürreperioden und intensiveren Niederschlagsereignissen abwechseln. Der Temperaturanstieg wird zu einem Anstieg der Verdunstung führen und durch den kombinierten Effekt von verändertem Niederschlag und erhöhter Temperatur wird sich die Grundwasserneubildung in Menge und Zeitpunkt verändern. Grundwasserneubildung meint den Prozess, bei dem Niederschlagswasser in den Boden infiltriert, das Grundwasser erreicht und die Grundwasserleiter auffüllt (Hunkeler et al. 2014). Aufgrund der veränderten klimatischen Bedingungen wird sich auch das Abflussregime der Flüsse (Mülchi et al. 2020) ändern und somit auch die indirekte Grundwasserneubildung, das heisst die Menge und die zeitliche Dynamik der Flusswasserinfiltration in die Grundwasserleiter (Epting et al. 2022). Zum Beispiel werden stärker ausgeprägte und längere Niedrigwasserperioden in vielen Fällen zu einem Rückgang der Grundwasserneubildung durch Flusswasserinfiltration führen. Eine verändertere Dynamik im Sedimenttransport durch Trockenperioden wie auch Starkregen kann zudem die Struktur des Flussbetts beeinflussen, wodurch sich die Grundwasser-Oberflächenwasser Interaktionen verändern (Gianni et al. 2016).

Wenn die Grundwasserneubildung im Sommer abnimmt, müssen wir das verbliebene Wasser besser vor Verunreinigungen wie beispielsweise Nitrat oder Pflanzenschutzmitteln schützen. © Otto Durst - stock.adobe.com

Grundwasserneubildung

Exemplarisch konzentrieren wir uns hier auf die Grundwasserneubildung unter pluvialen Bedingungen. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass die Grundwasserneubildung im Wesentlichen eine Folge der jährlichen Niederschlagsverteilung unter Berücksichtigung der Verdunstung darstellt und typisch für das Mittelland sind (Schürch et al. 2010).

Bei zukünftiger Grundwasserneubildung unter pluvialen Bedingungen wird es mit grosser Wahrscheinlichkeit zu einer unregelmässigeren jahreszeitlichen Verteilung mit längeren Perioden von geringerer oder gar keiner Anreicherung im Sommer und Herbst kommen. Diese Perioden werden teilweise durch eine höhere Anreicherung im Winter ausgeglichen, so dass sich die Jahressummen in einigen Regionen nicht gravierend verändern (Hunkeler et al. 2021). Die Auswirkungen auf die Grundwasserspeicherung und den Grundwasserabfluss variieren jedoch in Abhängigkeit von den hydrogeologischen Bedingungen des Grundwasserleiters – also der Eigenschaften des jeweiligen Gesteins wie Durchlässigkeit, Speicherfähigkeit, Porosität etc. (Peters et al. 2003, Carlier et al. 2019). Die saisonalen Veränderungen der Grundwasserneubildung beeinflussen zudem auch die Grundwassertemperaturen (Epting et al. 2021).

Gerade bei kleineren, oberflächennahen Grundwassersystemen mit zum Teil sehr schnellen Fliesszeiten sind Menge- und Temperaturveränderungen entscheidend für die Grundwasserqualität und -quantität, da sie den Wasserhaushalt, die Kontamination durch Schadstoffe, die biologische Vielfalt und hydrologische Prozesse beeinflussen können. Unabhängig vom Grundwasserleitertyp wird oberflächennahes Grundwasser am meisten für die Bewässerung und die Trinkwasserversorgung genutzt. Doch nicht nur durch den Klimawandel, sondern auch durch die Landwirtschaft und die städtische Entwicklung gerät es immer stärker unter Druck (Jeannin et al. 2015, Hunkeler et al. 2021).

Als Fallbeispiele für die Auswirkung des Klimawandels auf die Grundwasserneubildung können Studien zu Grundwasserleitern in Wohlenschwil (AG) (Moeck 2014) und Baltenswil (ZH) (Stoll et al. 2011) betrachtet werden. Die beiden Standorte sind durch ähnliche klimatische Bedingungen, aber Unterschiede in den hydrologischen Eigenschaften des Bodens gekennzeichnet. In beiden Studien wurde das gleiche Emissionsszenario verwendet und beide Studien kamen zu ähnlichen Schlussfolgerungen: Im Sommer ist mit einem Rückgang der Grundwasserneubildung sowie einer Verlängerung der «Sommer»-Periode in den Herbst hinein zu rechnen, wohingegen im Winter die Grundwasserneubildung zunehmen wird. Im Sommer sind die Veränderungen trotz der deutlich höheren Lufttemperaturen gering, da bereits unter den heutigen Bedingungen ein grosser Anteil des Niederschlagswassers durch Verdunstung verloren geht. Steigende Temperaturen haben daher kaum Auswirkungen auf die Grundwasserneubildung. Die abnehmende Grundwasserneubildung im Herbst kann auf eine höhere Verdunstung in dieser Jahreszeit sowie ein verlängertes Bodenfeuchtigkeitsdefizit zurückgeführt werden, welches sich während der Sommermonate bilden kann. Im Winter nimmt die Grundwasserneubildung hingegen tendenziell zu, was hauptsächlich auf die höheren Winterniederschläge zurückzuführen ist. Die Grundwasserneubildung hängt stark vom Zeitpunkt des Niederschlags während des Jahres ab (Stoll et al. 2011). Studien zeigen aber auch, dass die saisonale Verteilung der Grundwasserneubildung in Abhängigkeit von der Methode zur Simulation der lokalen klimatischen Bedingungen sowie der gewählten Modellkomplexität variieren kann (Stoll et al. 2011, Moeck et al. 2016 & 2018, Hartmann et al. 2017).

Abbildung 2: Aktuelle und zukünftige Grundwasserneubildung mit Unsicherheiten für den Standort Wohlenschwil, der eine ungesättigte Bodenzone von zehn Metern Mächtigkeit aufweist. Abbildung verändert nach Hunkeler et al. (2014).

Systematische Betrachtung

Die oben aufgeführten Studien bieten zwar Einblicke in mögliche Veränderungen der Grundwasserneubildung, haben aber nicht systematisch die Rolle der wichtigsten Einflussfaktoren auf die Neubildung untersucht. Daher wurden durch Hunkeler et al. (2021) neue Simulationen durchgeführt. In diesen wurden Bodentypen, Gesamtniederschlagsmengen, Hangneigungen und Vegetation für drei Schweizer Mittellandgebiete mit ähnlichen mittleren Temperaturen aber unterschiedlichen Normniederschlägen (1981- 2010) variiert (RCP8.5). Die Grundwasserneubildung wurde wie in den oben genannten Studien mit einem physikalisch basierten Modell unter der Annahme homogener Bodenbedingungen simuliert. Es zeigte sich, dass die Durchlässigkeit des Bodens einen viel grösseren Einfluss auf die Neubildungsraten hat als der topografische Neigungswinkel.

Wie bereits oben eingehend diskutiert, ändert sich unter zukünftigen klimatischen Bedingungen die jahreszeitliche Verteilung der Grundwasserneubildung. Die höheren Winterniederschläge führen jedoch nur an verhältnismässig feuchten Standorten und/oder bei Böden mit höherer Durchlässigkeit zu einer zusätzlichen Neubildung. An verhältnismässig trockenen Standorten und/oder bei Böden mit geringerer Durchlässigkeit wird der zusätzliche Winterniederschlag im Boden gespeichert, sodass er, noch bevor er den Grundwasserspiegel erreicht und zu Neubildung führen kann, durch erhöhte Verdunstung wieder verloren geht und/oder als Oberflächenabfluss abfliesst. Insgesamt konzentriert sich die Neubildung entsprechend stärker auf den späten Winter und das frühe Frühjahr. Der Effekt dieser Veränderungen auf die jährliche Neubildungsrate variiert stark zwischen den Standorten und Böden und reicht von keiner Veränderung der jährlichen Neubildung bis hin zu einer Verringerung um die Hälfte. Die grössten Veränderungen werden bei Böden mit einer verhältnismässig geringen Durchlässigkeit beobachtet.

Besserer Umgang mit Grundwasser in Hinblick auf die Auswirkungen des Klimawandel

Im Zusammenhang mit dem Klimawandel ist ein integrales Management der Bewirtschaftung und des Schutzes des Grundwassers erforderlich.

Sie müssen die kombinierten Auswirkungen des Klimas und anderer Veränderungen (z.B. Grundwasserentnahme) berücksichtigen, die Wechselwirkungen des Grundwassers mit anderen hydrologischen Systemen (z.B. Flüsse) in Betracht ziehen und sicherstellen, dass alle Grundwasserdienstleistungen erfüllt werden. Darüber hinaus ist der Grundwasserschutz wichtig, um zu vermeiden, dass Grundwasserressourcen, die besonders widerstandsfähig gegenüber dem Klimawandel sind, aufgrund von Verschmutzung nicht mehr genutzt werden können. Es spielen grundsätzlich zwei Aspekte eine entscheidende Rolle: Zum einen inwieweit die Grundwasserstände in trockenen Zeiträumen abnehmen (Zuverlässigkeit) und zum anderen wie schnell sich die Grundwassersysteme wieder erholen (Belastbarkeit). Die Überwachung und Kontrolle der Grundwassernutzung und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Nutzer:innen muss dazu beitragen, eine nachhaltige Nutzung des Grundwassers auch unter veränderten klimatischen Bedingungen zu gewährleisten.

Christian Moeck, Joaquin Jimenez-Martinez, Pierre-Yves Jeannin, Mario Schirmer & Oliver S. Schilling

Die Autoren erforschen ein breites Spektrum an hydrogeologischen Fragestellungen an der Eawag sowie der ETH Zürich, der Universität Neuchâtel, dem ISSKA und der Universität Basel. Neben der Entwicklung neuer Mess-, Analyse- und Simulationsmethoden befassen sie sich eingehend mit dem Einfluss des Klimawandels auf das Grundwasser. Die Autoren gehören zudem zum wissenschaftlichen Kernteam des Schweizer Grundwasser Netzwerks (CH-GNet), welches den Wissensaustausch und die Zusammenarbeit zwischen Forscher:innen und Fachleuten im Bereich des Grundwassers fördert.

Mehr Gewässernews

Von Mythen und Missverständnissen

Was ist eigentlich eine Beschwerde und was eine Einsprache? Können Umweltschutzorganisationen ein Projekt verhindern? Und wann ist ein Beschwerdeverfahren wirklich abgeschlossen? Im Gespräch mit Franziska Scheuber und Michael Casanova von Pro Natura bringen wir Licht ins Dunkel.

Aufruf zur Nichteinhaltung des Gesetzes

Vielen Politiker:innen ist das Verbandsbeschwerderecht ein Dorn im Auge beim Ausbau der erneuerbaren Energien, vor allem seit der Verabschiedung des Stromgesetzes. Martina Munz erklärt im Gespräch, warum die Kritik nicht gerechtfertigt ist und welche Ansätze und Strategien wir wirklich brauchen.

Sachlich begründet und bewährt

Seit nahezu 60 Jahren gibt es in der Schweiz das Verbandsbeschwerderecht. Das Instrument hat sich als überaus wirksam erwiesen, wird jedoch immer wieder politisch infrage gestellt. Arnold Marti stellt uns das Verbandsbeschwerderecht vor und erklärt, warum es nicht nur für unsere Gewässer so immens wichtig ist.

Kraftwerk Emmenweid: Fischgängig dank Einsprache und Verhandlung

Fische wandern zur Nahrungssuche und Fortpflanzung oft viele Kilometer und sind deshalb auf vernetzte, durchgängige Gewässer angewiesen. Ohne das Verbandsbeschwerderecht wäre ihnen der Weg in unseren Flüssen häufig versperrt. Dies zeigt die Sanierung des Wasserkraftwerks Emmenweid.