Skip to main content

Bild: © Christoph Vorburger

Artikel aus aqua viva 3/2023

Weiherbau stoppt Abwärtstrend bei Amphibien

Im «Wasserschloss» Schweiz fühlten sich Amphibien wohl. In unseren heutigen trockengelegten Landschaften haben sie jedoch einen schweren Stand. Viele Arten sind gefährdet. Der Kanton Aargau hat vorgemacht, was im Amphibienschutz möglich ist. In den letzten 20 Jahren hat er grossflächig neue Weiher gebaut und das mit Erfolg: Die Anzahl der Populationen fast aller Amphibienarten hat sich stabilisiert oder in einer Trendwende sogar zugenommen.

Von Helen Moor, Rolf Holderegger, Ariel Bergamini, Benedikt Schmidt & Christoph Vorburger

Portrait Helen Moor, Eawag

«Der Erfolg des Amphibienschutzprogramms im Kanton Aargau zeigt: Werden die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen, dann kommen auch die Arten. Und neben den Amphibien profitieren auch andere Artengruppen. Weiher sind Hotspots der aquatischen Biodiversität und werden  rege von terrestrischen Tieren wie Vögeln oder Fledermäusen genutzt.»

Helen Moor, Eawag

Amphibien sind weltweit die am stärksten gefährdete Wirbeltiergruppe – beinahe ein Drittel der bekannten Arten hat die Weltnaturschutzorganisation IUCN auf die globale Rote Liste gesetzt. Die meisten der weltweit bedrohten Amphibienarten leben in den Tropen, wo die Artenvielfalt am höchsten ist. In der Schweiz kommen etwa 20 Amphibienarten vor ähnlich wie in Deutschland oder Österreich. Allerdings ist das Bild bei uns noch besorgniserregender als im globalen Vergleich: Die Mehrzahl (70%) der einheimischen Amphibienarten steht auf der Roten Liste. Die Wechselkröte ist bereits ausgestorben, neun Arten sind als stark gefährdet und vier weitere Arten als verletzlich eingestuft. Nur drei der einheimischen Amphibienarten gelten als nicht gefährdet: Es sind die weit verbreiteten Arten Bergmolch, Erdkröte und Grasfrosch. Aber auch bei diesen wurden in den letzten Jahrzehnten Bestandsrückgänge beobachtet.

Was Amphibien auszeichnet, ist ihr Entwicklungszyklus. Während die meisten ausgewachsenen Amphibien Landbewohner sind, findet die Fortpflanzung in Gewässern statt. Im Frühjahr treffen sich die Tiere an Weihern zur Paarung. Sie laichen im Wasser ab, wo sich die Larven zu Jungtieren entwickeln und schliesslich zurück ans Land wechseln. Amphibien brauchen deshalb ausreichend Weiher, also kleine Stillgewässer mit geringer Tiefe. Idealerweise handelt es sich dabei um nur temporär wasserführende Weiher, in einer Umgebung, welche den Amphibien geeigneten Landlebensraum bietet.

Ein neu angelegter Teich am Waldrand mit Stein- und Asthaufen im Uferbereich
Ein neu angelegter Teich am Waldrand. Haufen von Steinen und Ästen tragen dazu bei, terrestrischen Lebensraum für Amphibien in der Umgebung zu schaffen. Bild: © Benedikt R. Schmidt

Verlust und zunehmende Isolation von Laichgewässern

Der Hauptgrund für den Rückgang der Amphibienvorkommen in der Schweiz ist der Verlust an Fortpflanzungsgewässern durch die Trockenlegung der Landschaft. Feuchtgebiete, also Moore, Sümpfe und kleine Gewässer, sind seit dem 19. Jahrhundert gezielt und mit enormem finanziellen Aufwand drainiert, trockengelegt oder aufgefüllt worden. Im Mittelland gingen im Zuge der Landschaftsmeliorationen rund 90 Prozent der Feuchtgebiete verloren. Die Begradigung und Kanalisierung von Flüssen verunmöglicht zudem eine natürliche Flussdynamik, durch die in Überschwemmungsflächen Auenlandschaften mit vielen kleinen, temporären Gewässern entstehen. Die am meisten gefährdeten Amphibienarten der Schweiz brauchen aber genau diese Dynamik: Sie nutzen temporäre Gewässer zur Fortpflanzung. Nebst natürlichen Auenlandschaften sind auch Mulden und Tümpel, die sich im Frühling mit Wasser füllen, eine Seltenheit geworden. Das Verschwinden von Feuchtgebieten, kleinen und temporären Gewässern hat in der Schweiz zum regionalen Verlust unzähliger Tier- und Pflanzenarten geführt, denen damit die Lebensgrundlage entzogen wurde. Es überrascht daher nicht, dass der Anteil gefährdeter oder ausgestorbener Arten in aquatischen Lebensräumen grösser ist als in terrestrischen.

Die Amphibienpopulationen sind zusätzlich dadurch beeinträchtigt, dass verbleibende Laichgewässer heute weit voneinander entfernt und durch Ausbreitungsbarrieren zunehmend isoliert sind. Der starke Verkehr auf einem dichten Strassennetz stellt Hindernisse für die Wanderung von Amphibien zwischen dem Winterlebensraum und dem Fortpflanzungsgewässer dar. Wo keine Amphibientunnel bestehen und keine Freiwilligen die Tiere vor dem Tod auf der Strasse schützen, sterben viele Amphibien auf der Wanderung zum Laichgewässer. Amphibien sind in unseren Breitengraden weiteren negativen Faktoren ausgesetzt, die ihr Überleben und ihre Fortpflanzung gefährden und somit zum Schrumpfen der Populationen führen. Der Pestizideinsatz in der Landwirtschaft erhöht die Sterblichkeit von Jungtieren, Krankheitserreger wie der Chytridpilz sind auf dem Vormarsch und der Klimawandel bringt häufigere Hitzewellen und Dürreperioden mit sich. Manche dieser Bedrohungen sind schwierig anzugehen, doch gegen den Verlust des Fortpflanzungslebensraumes gibt es eine einfache Lösung: das Anlegen neuer Weiher und Tümpel.

Ausgangslage im Kanton Aargau

Im Zuge des zweiten kantonalen Amphibieninventars Anfang der neunziger Jahre hat man im Kanton Aargau, verglichen mit den späten siebziger Jahren, Bestandsrückgänge bei vielen Amphibienarten festgestellt. Dies obwohl sich im Kanton viele Amphibienlaichgebiete von nationaler Bedeutung befinden.

Der Kanton erkannte seine wichtige Rolle im Amphibienschutz und erstellte ein entsprechendes Konzept. Der Verlust an Laichgewässern und deren zunehmende Isolierung wurden als wichtige Ursachen der Bestandsrückgänge erkannt und die Wiederherstellung eines funktionierenden Gewässerverbunds zum Ziel gesetzt. Schwerpunktgebiete mit Restvorkommen gefährdeter Arten wurden ausgewiesen und räumlich konzentrierte artspezifische Fördermassnahmen geplant. Bekannte Laichgebiete von nationaler und kantonaler Bedeutung sollten erhalten werden, um als regionale Knotenpunkte und mögliche Quellpopulationen zu dienen. Darum herum sollten neu angelegte Gewässer die Vernetzung der Populationen und die Ausbreitung der Amphibienarten fördern. Ausdrückliches Ziel war es, «vom statischen Schutz einzelner Gebiete zu einem dynamischen Modell der Erhaltung einer genügenden Anzahl geeigneter Laichgewässer im betreffenden Raum vorzustossen» (Meier & Schelbert 1999).

Um den Erfolg dieser Fördermassnahmen zu überprüfen, wurde ein Monitoring gestartet. Dank professioneller Leitung und dem Einsatz zahlreicher Freiwilliger bringt dieses seither Daten von grossem Wert hervor.

Geburtshelferkröte auf einem Stein sitzend
Die Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans, im Volksmund «Glögglifrosch») bevorzugt Gewässer, in deren Nähe sich grabbare Böschungen, Trockenmauern oder andere als Landlebensraum geeignete Kleinstrukturen finden. Bild: © Benedikt R. Schmidt

Mit Weiherbau gegen das Amphibiensterben

Über zwanzig Jahre hinweg hat der Kanton in den Schwerpunktgebieten rund 400 neue Weiher und Teiche gebaut: im Kulturland, in Kiesgruben, im Wald, an Waldrändern und entlang von Eisenbahntrassen. Sogar die wenigen ungenutzten Quadratmeter unterhalb von Hochspannungsmasten wurden zum Bau kleiner Tümpel genutzt. Dies führte zur Verdichtung des Biotopverbunds und einer besseren Vernetzung vieler Populationen. Das kontinuierliche Neuangebot frisch erstellter Teiche und Tümpel hat ausserdem das Lebensraumangebot für Pionierarten wie die Gelbbauchunke erhöht.

Trendumkehr dank der Besiedelung neuer Teiche

Die Weitsicht, die über 20 Jahre neu gebauten Teiche in ein Monitoring-Programm zu integrieren, erlaubte eine Untersuchung ihres Einflusses auf die Amphibienbestände im Kanton Aargau. Diese Untersuchung wurde durch die Forschungsinitiative Blue-Green Biodiversity von Eawag und WSL finanziert (www. eawag.ch/bgb) und im Oktober 2022 pu bliziert (Moor et al. 2022). Es zeigte sich, dass alle weiherbewohnenden Arten im Kanton Aargau die neuen Gewässer besiedeln. Das führte bei zehn der zwölf Arten zu teilweise starken Zunahmen der Anzahl Vorkommen und bei der Geburtshelferkröte immerhin zu einer Stabilisierung der vorher im Rückgang begriffenen Anzahl Vorkommen. Der Laubfrosch im Reusstal breitete sich am stärksten aus: Er war 2019 in viermal so vielen Gewässern anzutreffen wie noch 1999 (siehe Abb. 1). Auch die beiden seltenen Arten Kamm- und Teichmolch legten im Reusstal deutlich zu. Die Gelbbauchunke, eine Pionierart, kolonisierte neue, vorzugsweise kleine, temporäre Tümpel am schnellsten, vor allem im Rheintal und im Aaretal, wo die meisten neuen Tümpel hinzukamen. Bei all diesen Arten ging die Zunahme der Anzahl Vorkommen auch mit Zunahmen der Gesamtbestände (Anzahl an Individuen) einher. Einzig die Kreuzkröte hat nicht wirklich profitiert. Ihre Bestände haben kantonsweit weiterhin abgenommen. Die Datenanalyse bestätigte aber, weshalb Programme zu ihrem Schutz anderswo erfolgreich sind: Die Kreuzkröte braucht grosse, regelmässig im Spätsommer austrocknende Laichgewässer. Die Verfügbarkeit solcher Gewässer ist für die Kreuzkröte im Aargau weiterhin ein limitierender Faktor.

zwei Liniendiagramme, welche die Zunahme der von Gelbbauchunken und Laubfröschen besetzten Teiche im Kanton Aargau zwischen 1999 und 2019 zeigen
Abb. 1: Entwicklung der Anzahl besiedelter Teiche für die Gelbbauchunke im Rheintal und den Laubfrosch im Reusstal von 1999 bis 2019. Die gesamte Anzahl besetzter Teiche (dunkelblau) ist zusätzlich aufgeteilt in bestehende Teiche (blau) und nach 1999 neu angelegte Teiche (hellblau). Quelle: Helen Moor et al. 2022

Beharrlichkeit, Vielfalt und Verdichtung führten zum Erfolg

Der Erfolg des Amphibienschutzprogramms im Kanton Aargau beruht auf dem schnellen und beharrlichen Handeln als Reaktion auf die beobachteten Bestandsrückgänge in den neunziger Jahren. Über viele Jahre hin und flächendeckend wurde das Angebot an vielfältigen Typen von Laichgewässern ausgebaut und damit deren Verdichtung und Vernetzung gefördert. Diese positive Entwicklung dauert an. Der Fokus auf jene Gebiete, in denen noch Restbestände der gefährdeten Amphibienarten vorkamen und die Verringerung der Distanzen zwischen den Teichen erleichterte deren natürliche Besiedelung. Der Erfolg dieser Fördermassnahmen zeigt: Werden die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen, dann kommen auch die Arten. Und neben den Amphibien profitieren auch andere Artengruppen von den neuen Gewässern. Weiher sind Hotspots der aquatischen Biodiversität und werden zudem rege von terrestrischen Tieren wie Vögeln (nicht nur Wasservögel!) oder Fledermäusen genutzt. 

Naturschutz lohnt sich

Die Trockenlegung der Schweizer Landschaften, die Kanalisierung unserer Flüsse und der Schwund der Biotopvielfalt sind Entwicklungen, die nicht in Stein gemeisselt sind. Die letzten Feuchtgebiete stehen unter Schutz und vielerorts ist man dabei, eine grössere Vielfalt an Lebensräumen wiederherzustellen. Bäche werden ausgedohlt, Flüsse revitalisiert und Kleingewässer angelegt. Mehr Wasser in die Landschaft zu bringen, ist (fast) überall möglich. Ideal wäre es, auch natürliche Dynamik wieder zu erlauben: Drainagen aufheben, feuchte Wiesen, Mulden und Senken temporär fluten, Auenlandschaften von genügender Ausdehnung wiederherstellen. Wo das nicht möglich ist, sind vom Menschen geschaffene Weiher eine gute Lösung. Tümpel und Weiher haben dank ihrer geringen Grösse den Vorteil, dass sie auch in sonst intensiv genutzten Landschaften Platz finden. Dort tragen sie umso mehr zur Förderung einer Vielzahl von Arten bei.

Autor:innen

Die Autor:innen erforschen ökologische Fragestellungen und Biodiversitätsthemen an der Eawag, WSL, Universität Zürich, info fauna karch und der ETH Zürich. Im Rahmen der gemeinsamen Forschungsinitiative Blue-Green Biodiversity von Eawag und WSL ergänzten sie ihre Fachkompetenzen aus der statistischen Modellierung, der Ökologie der Amphibien und der Lebensraumdynamik in diesem interdisziplinären Forschungsprojekt zur Wirksamkeit praktischer Naturschutzmassnahmen.

Portrait Helen Moor, Eawag

Helen Moor
Eawag

Portrait Rolf Holderegger, WSL

Rolf Holderegger
WSL

Portrait Ariel Bergamini, WSL

Ariel Bergamini
WSL

Portrait Benedikt Schmidt, info fauna karch

Benedikt Schmidt
info fauna karch

Portrait Christoph Vorburger, ETH Zürich

Christoph Vorburger
ETH Zürich


Kontakt

Helen Moor
Eawag
Abteilung Systemanalyse und Modellierung
Überlandstrasse 133, 8600 Dübendorf
helen.moor@eawag.ch, 058 765 64 75

Mehr Gewässernews

Von Mythen und Missverständnissen

Was ist eigentlich eine Beschwerde und was eine Einsprache? Können Umweltschutzorganisationen ein Projekt verhindern? Und wann ist ein Beschwerdeverfahren wirklich abgeschlossen? Im Gespräch mit Franziska Scheuber und Michael Casanova von Pro Natura bringen wir Licht ins Dunkel.

Aufruf zur Nichteinhaltung des Gesetzes

Vielen Politiker:innen ist das Verbandsbeschwerderecht ein Dorn im Auge beim Ausbau der erneuerbaren Energien, vor allem seit der Verabschiedung des Stromgesetzes. Martina Munz erklärt im Gespräch, warum die Kritik nicht gerechtfertigt ist und welche Ansätze und Strategien wir wirklich brauchen.

Sachlich begründet und bewährt

Seit nahezu 60 Jahren gibt es in der Schweiz das Verbandsbeschwerderecht. Das Instrument hat sich als überaus wirksam erwiesen, wird jedoch immer wieder politisch infrage gestellt. Arnold Marti stellt uns das Verbandsbeschwerderecht vor und erklärt, warum es nicht nur für unsere Gewässer so immens wichtig ist.