Skip to main content

Bild: © SFV

Interview aus aqua viva 1/2024

Biodiversität und Angelfischerei

Die Vielfalt der Fische sowie lebendige Gewässer sind auch den Fischer:innen ein grosses Anliegen. Warum erklärt David Bittner, Geschäftsführer des Schweizerischen Fischerei-Verbands (SFV), im Gespräch mit Aqua Viva. Er berichtet von der Bedeutung des Totholzes, dem Roi du Doubs, aktuellen Herausforderungen im Gewässerschutz sowie vergangenen Fehlern beim Fischbesatz. Ausserdem zeigt er, wie der SFV aber auch die Fischer:innen lokal und national zum Erhalt der Fischvielfalt beitragen.

Das Gespräch führte Tobias Herbst

Portraitbild von David Bittner

«Entscheidend für den Schutz unserer Fischvielfalt ist das neue Gewässerschutzgesetz, das auf der Fischerinitiative «Lebendiges Wasser» basiert. Jetzt muss es einfach endlich richtig vorwärts gehen!»

David Bittner, Geschäftsführer des Schweizerischen Fischerei-Verbands (SFV)
 

Herr Bittner, warum ist für die Fischer:innen eine grosse Fischvielfalt ausserhalb der beliebten Angelfische wie Hecht oder Forelle von Bedeutung?

Viele Fischer:innen interessieren sich sehr für die Natur und die Artenvielfalt. Viele kennen die Gewässer noch, wie sie vor 20 oder 50 Jahren waren – mit grösserer Vielfalt und grösseren Beständen – und haben den Artenrückgang miterleben müssen. Und viele haben den gesunden Ehrgeiz die gefangenen Arten auch selbst zu erkennen, zu unterscheiden und sich der kleinen Unterschiede beispielsweise im Muster der Tiere bewusst zu werden. Denn auch innerhalb der Arten gibt es solche Unterschiede wie beispielsweise bei den Eglis im Bodenober- und Bodenuntersee.

Wie schätzt der SFV die aktuelle Situation hinsichtlich der Fischvielfalt ein?

75 Prozent der einheimischen Fischarten stehen auf der roten Liste, sind ausgestorben, vom Aussterben bedroht oder gefährdet. Im Moment geht es also den Schweizer Fischen schlecht. Trotz des vom SFV durch seine Volksinitiative «Lebendiges Wasser» angestossenen revidierten Gewässerschutzgesetzes von 2011 oder vielleicht muss man sagen gerade wegen des grossen Vollzugsdefizits bei dessen Umsetzung. Gerade bei den kältebedürftigen Fischarten wie den Äschen oder Forellen ist weiterhin keine Trendwende in Sicht. Durch den Klimawandel spitzt sich die Situation sogar noch zu. Aber es gibt natürlich auch Fischarten, die von dieser Situation profitieren beispielsweise der Alet und der Wels.

Wie kann aus Ihrer Sicht die Trendwende noch gelingen?

Die Situation ist kompliziert. Unsere Gewässer sind vielfach beeinträchtigt: Wasserkraftnutzung, Uferverbauungen, Begradigungen, Kanalisierungen, Pestizid- und Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft, Mikroverunreinigungen, Neozoen, fischfressende Vögel, Klimawandel und und und. Wir haben es mit vielen Faktoren und Wechselwirkungen zu tun und müssen auf allen Ebenen aktiv werden. Es nützt also nichts, wenn wir revitalisieren aber die Wasserqualität oder die Temperaturen für die Zielarten schlicht unerträglich sind oder zu wenig Restwasser fliesst. Das revidierte Gewässerschutzgesetz ist eine gute rechtliche Grundlage. Aber die Energiekrise und der politische Druck auf unsere Gewässer, dürfen nun nicht dazu führen, dass hier Abstriche gemacht werden. Wir müssen das Erreichte verteidigen und die Massnahmen aus dem Gewässerschutzgesetz schneller und engagierter umsetzen.

Sie haben den Klimawandel angesprochen. Was braucht es hier konkret, um die Lebensbedingungen kältebedürftiger Fischarten zu verbessern?

Grundsätzlich ist die Gewässerrevitalisierung auch hier der richtige Ansatz. Es gilt dabei aber einige Besonderheiten zu beachten. Wir vom SFV möchten in diesem Zusammenhang speziell auf die Bedeutung von Rückzugshabitaten in Form tiefer und somit kühlerer Stellen im Gewässer hinweisen. Wenn Abstürze saniert und Ufer abgeflacht werden, gehen diese tiefen Rückzugshabitate oft verloren. Die Erfahrung zeigt, dass sich diese tiefen Stellen nicht von allein wieder ausbilden, weil die dafür erforderliche Dynamik fehlt. Wir müssen die Bedürfnisse der kältebedürftigen Fischarten also von Beginn an mitberücksichtigen. Das Totholz spielt hierbei eine entscheidende Rolle: Jeder Baum, der ins Wasser fällt und sich irgendwo verkeilt oder künstlich von uns lagestabil eingebracht wird, kann helfen. Bei vielen Revitalisierungsprojekten werden sogenannte Totholzschlüsselstrukturen leider noch nicht berücksichtigt. Diese müssen zwingend und grosszügig in jedem Projekt eingeplant werden.

Was tut der SFV, um solchen Defiziten entgegenzuwirken?

Mit dem Projekt «Fischer schaffen Lebensraum» möchten wir nicht nur die Lebensräume der kältebedürftigen Arten verbessern. Wir versuchen zusammen mit lokalen Fischervereinen und den Kantonalverbänden kanalisierte, monotone Gewässer mit einfachen Massnahmen aufzuwerten, indem wir eine Vielfalt von Strukturen einbauen – auch hier kommt dem Totholz sehr grosse Bedeutung zu.

Ein Mann steht im Bach und hält ein rundes Stück Holz. Ein anderer Mann steht am Ufer und hämmert auf das Stück Holz.
Mit dem Projekt «Fischer schaffen Lebensraum» sorgt der SFV an vielen Gewässern in der gesamten Schweiz für bessere Lebensbedingungen für Fische und andere Gewässerbewohner. © SFV

Können Sie das etwas genauer umschreiben?

«Fischer schaffen Lebensraum» kann als ökologischer Gewässerunterhalt betrachtet werden. Damit bieten wir eine sinnvolle Ergänzung zu den grossen Revitalisierungsprojekten und bieten unseren Mitgliedern ein attraktives Betätigungsfeld, um selbst etwas zur Verbesserung der Situation beizutragen. Das ist ein tolles Beispiel für Eigenverantwortung. Wir stellen nicht nur Forderungen, sondern setzen selbst auch konkret um, was im Rahmen unserer bescheidenen Möglichkeiten liegt. Wir haben zu «Fischer schaffen Lebensraum» ein detailliertes Handbuch verfasst, in dem wir die Vorgehensweise und einzelne Massnahmen vorstellen. Darüber hinaus initiieren wir auch den Austausch mit den zuständigen Behörden, so dass gegenseitiges Vertrauen geschaffen und die bewilligten Massnahmen pragmatisch und einfach umgesetzt werden können.

Fischer schaffen Lebensraum gibt es mittlerweile seit einigen Jahren und es wurden viele Kilometer Fliessgewässer aufgewertet. Erste Wirkungskontrollen zeugen vom Erfolg der Massnahmen. In einem aktuellen grösseren Projekt sollen mit der vom BAFU eingeführten standardisierten Methode zur Evaluation von Revitalisierungen auch mehrere «Fischer schaffen Lebensraum»-Projekte untersucht werden. Ausserdem sind wir dabei, das Programm auszubauen. Denn es müssen natürlich nicht nur die Fischer:innen sein, die solche Massnahmen umsetzen.

Gibt es weitere Beispiele wie der SFV und die Fischer:innen vor Ort zum Erhalt der Artenvielfalt beitragen?

Ein Beispiel sind die Äschen im Hochrhein. In den Hitzesommern 2003, 2018 und 2022 haben Fischer:innen zusammen mit den Behörden in einer Art Feuerwehreinsatz Kaltwasserrefugien geschaffen, Einstände geschützt, die Badenden sensibilisiert, tote Fische aus dem Rhein geborgen und vieles mehr.

Ein weiteres Beispiel ist unser Engagement rund um die Rettung des Roi du Doubs. Leider ist der Roi du Doubs akut vom Aussterben bedroht. Wir gehen von nur noch wenigen verbleibenden Individuen aus. Zwar gibt es seit vielen Jahren einen nationalen Aktionsplan für den Doubs – eine Bestandserholung oder auch nur ein Stopp des Rückgangs konnte bislang aber leider nicht erreicht werden. In einer grossen Koalition mit den zuständigen Behörden, der Wissenschaft, mehreren Zoos sowie Akteuren aus Frankreich versuchen wir daher, ein Arterhaltungsprogramm als ergänzende Massnahme herbeizuführen. Neben unserem breiten, strukturellen Ansatz mit «Fischer schaffen Lebensraum» engagieren wir uns also auch in akuten Notsituationen für den Erhalt unserer Fischvielfalt.

Aufzucht und Besatz wie beim Roi du Doubs oder auch der oft besetzten Forelle sind nicht immer förderlich in Sachen Fischvielfalt. Können Sie uns erklären warum?

Jedes Gewässer ist geprägt durch eigene chemische Signaturen, Abflusssituationen, Temperaturregime, Parasitenvorkommen, Artenzusammensetzungen und vielen weiteren Faktoren. Die Fische haben sich an diese Umweltbedingungen angepasst. Die Forelle ist hierfür ein sehr gutes Beispiel. Sie zeichnet sich aus durch extrem viele feinräumig lokal angepasste und genetisch differenzierte Populationen. Diese Diversität wurde lange nicht erkannt beziehungsweise nicht ausreichend berücksichtigt.

Bei Besatzaktionen war man beispielsweise der Meinung, dass es sich bei den Forellen im gesamten schweizerischen Einzugsgebiet des Rheins um ein und dieselbe Art handelt und es keine Rolle spielt, wenn man Tiere sogar aus anderen Rhein-Ländern in der Schweiz einsetzt. Durch ein solches Vorgehen hat man viel zerstört. Denn die eingesetzten, genetisch fremden Fische haben vielerorts die lokalen Populationen verdrängt oder genetisch vermischt – oft nur subtil aber über viele Generationen hinweg. Dies führte zu einem Verlust vieler lokaler Anpassungen. Populationen können sich deshalb bei schnellen Umweltveränderungen nachgewiesenermassen schlechter an die neuen Lebensbedingungen anpassen. Mitunter ebenfalls ein oft vernachlässigter Grund, weshalb die Forellenbestände insgesamt zurückgegangen sind. Es ist also entsprechende Vorsicht beim Besatz angebracht. Die Grundlagen für nachhaltige, ökologische Besatzmassnahmen sind heute bestens bekannt.

Nachtaufnahme von einem Fluss, in dem mehrere Menschen mit Taschenlampe gehen.
Der Roi du Doubs ist akut vom Aussterben bedroht. In einer nächtlichen Suchaktion im Sommer 2023 wurde nur noch ein Exemplar im Doubs entdeckt. Der SFV hat daher mit verschiedenen Partnern ein Arterhaltungsprogramm aufgegleist. © SFV

Warum brauchen wir überhaupt noch Besatz?

Beim Lachs, den Felchen im Hallwilersee, dem Roi du Doubs oder auch unseren stark gefährdeten einheimischen Flusskrebsen sind Besatzmassnahmen beziehungsweise ein Aufzuchtprogramm zum Erhalt der Art oder auch als Initialzündung unumgänglich. Es gilt deshalb das Know-How unbedingt zu erhalten. Besatzmassnahmen sollten in der Regel auf deren Wirkung hin überprüft werden. Einige Monitorings von Besatzmassnahmen haben gezeigt, dass viele der gefangenen Fische eigentlich auf die Naturverlaichung und nicht auf Besatzmassnahmen zurückzuführen sind, selbst in Gewässern mit grossen ökologischen Defiziten und trotz regelmässigen Winterhochwassern.

Braucht es hier mehr Sensibilität bei den Fischer:innen?

Der Besatz ist grundsätzlich immer Sache der Kantone. Hier gilt es, dass wir den aktuellen Stand des Wissens in die Breite tragen. Gerne weisen wir vom SFV daher auf die neueste BAFU-Studie «Fischbesatz in der Schweiz – Synthese der Erfolgskontrollen » (2023) oder die beiden vorangehenden Berichte «Nachhaltiger Fischbesatz in Fliessgewässern» (2018) und «Genetik und Fischerei» (2016) hin. Es sind aber die Kantone, die das aufnehmen müssen und gewohnte, teils jahrzehntelang praktizierte Abläufe überdenken und anpassen müssen. Die langjährige Erfahrung und das lokale Wissen der Fischer:innen sollte dabei unbedingt berücksichtigt werden. Zweifellos ist der Besatz aber ein Thema, das von den Fischer:innen vor Ort und den Behörden ganz unterschiedlich beurteilt wird. Damit müssen und können wir leben.

Gibt es andere Bereiche, in denen der SFV für die Fischvielfalt und deren Erhalt sensibilisieren kann?

Wir engagieren uns stark im Bereich der Umweltbildung und haben zusammen mit Aqua Viva das Projekt «Fischer machen Schule» lanciert. Dabei möchten wir Kindern und Jugendlichen die aquatischen Lebensräume und unsere einzigartige, aber dennoch bedrohte Fischvielfalt in der Schweiz näherbringen. All dies möglichst direkt an Gewässern mit lokalem Bezug. Alle Arten vom Makrozoobenthos bis zu den Fischen werden dabei thematisiert und gefragt: Warum sind sie wichtig und warum geht es ihnen und ihren Lebensräumen schlecht? Der SFV versucht zudem auch bei seinen Mitgliedern zu sensibilisieren: Beispielsweise indem wir auf den Wandel der Fischartenzusammensetzung aufgrund des Klimawandels aufmerksam machen – und die Nutzung von fischereilich weniger attraktiven Arten wie Alet (Fisch des Jahres 2021) und Wels mit Kochseminaren fördern.

Was kann jede:r Fischer:in tun, um die Artenvielfalt zu fördern?

Wir Fischer:innen müssen den stummen Fischen unsere Stimme geben und über den desolaten Zustand der Gewässer und der meisten Fischbestände informieren. Dies ist wichtiger und wertvoller denn je – sei es gegenüber den politischen Entscheidungsträger: innen oder der breiten Bevölkerung. Wie beim erwähnten neuen Gewässerschutzgesetz oder der Abwehr der radikalen Angriffe auf das Restwasser, können wir gemeinsam mit unseren Allianzpartnern viel erreichen!

Herr Bittner, vielen Dank für das Gespräch.

Mehr Gewässernews

Die Ökologische Infrastruktur: Jahrhundertprojekt für Mensch und Natur

Die Ökologische Infrastruktur ist ein Jahrhundertprojekt des Naturschutzes. Das vom Bundesrat beschlossene Lebensnetz für die Schweizer Biodiversität muss bis 2040 aufgebaut werden. Auch Fliessgewässer und Auen sollen ein wichtiger Bestandteil sein.

Neues Leben für den Mosbach

Familie Morf aus Thalheim an der Thur möchte auf ihrem Grundstück den Mosbach auf einem weiteren Abschnitt aus seiner unterirdischen Verbauung befreien und ihn wieder zum Leben erwecken – für Mensch und Natur. Aqua Viva finanziert das Vorprojekt im Rahmen des Projekts «Lebendiger Dorfbach».

«IG Lebendige Emme» gegründet

Revitalisierung, Hochwasserschutz, Sanierung Wasserkraft: An der Emme stehen wegweisende Entscheidungen an. 13 lokale Naturschutz- und Fischereiorganisationen haben sich deshalb zur Interessengemeinschaft Lebendige Emme zusammengeschlossen. Gemeinsam setzen sie sich für die Anliegen der Emme und ihrer Zuflüsse ein.

Wiederansiedlung der Europäischen Sumpfschildkröte

Die Europäische Sumpfschildkröte galt lange Zeit als ausgestorben. Nach Wiederansiedlungsprojekten in mehreren Kantonen können wir heute wieder einzelne Tiere und sogar erste Populationen beobachten. Es besteht sogar die Hoffnung, dass sich langfristig wieder stabile Bestände in der Schweiz etablieren.