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Zu viel Gift in unseren Gewässern
Zu viel Gift in unseren Gewässern
Das Gewässerschutzgesetz verlangt, dass in Bächen von keinem organischen Pestizid Konzentrationen über 0,1 μg/L vorkommen. Für einige Stoffe gelten seit einem Jahr sogar deutlich strengere Werte, für ganz wenige auch höhere. Diese Grenzwerte werden im Mittelland und im Grundwasser regelmässig und oft über Monate hinweg nicht eingehalten. Auch bei den Nährstoffen ist vieles im roten Bereich: Die Nitratkonzentrationen im Grundwasser übersteigen in Ackerbaugebieten an 40 Prozent aller Messstellen den Grenzwert von maximal 25 mg/L.
Von Esther Leitgeb
Bild 1: Esther Leitgeb hat Gewässermanagement an den Universitäten Duisburg-Essen (DE) und Radboud (NL) studiert und ist Bereichleiterin Gewässerschutz bei Aqua Viva.
Kleinere und mittelgrosse Bäche besonders betroffen
Die häufigen und teilweise über Wochen anhaltenden Überschreitungen von gesetzlichen Grenzwerten und von ökotoxikologisch hergeleiteten Qualitätskriterien sind leider Tatsache (Spycher et al., 2019; Doppler et al., 2017, Wittmer et al., 2014). Damit muss von negativen Auswirkungen auf die Gewässerlebewesen ausgegangen werden. Besonders betroffen sind laut Untersuchungen des Wasserforschungsinstituts Eawag kleinere und mittelgrosse Bäche mit intensiver landwirtschaftlicher Nutzung im Einzugsgebiet. In den meisten Proben wurden 30 oder mehr verschiedene Wirkstoffe gemessen (ebd.). Bodenhydrologe Christian Stamm, der an mehreren Pestizidstudien mitgearbeitet hat, wurde von den Ergebnissen überrascht: «Wir waren sehr erstaunt über die Anzahl der Wirkstoffe, die wir in den Gewässern fanden und über die Höhe der Konzentrationen. Die Situation ist leider schlechter als man vor einigen Jahren gedacht hat.»Für die Pestizide ist die Situation aber nicht nur wegen der fehlenden Zeitreihen schwer einzuschätzen, sondern auch weil ständig neue Chemikalien auf den Markt kommen und sich parallel dazu auch die Analysemethoden verändern.
Allein von 2005 bis 2014 wurde rund 100 Wirkstoffen für Pflanzenschutzmittel die Zulassung entzogen. 70 neue Pflanzenschutzmittel wurden zugelassen, darunter die wegen ihrer Wirkung auf Bienen umstrittenen Neonicotinoid- Insektizide (Wittmer et al., 2014). Der Spruch, allein die Dosis mache aus, ob etwas giftig sei, lässt einen Aspekt weg: Entscheidend ist nicht nur, ob jährlich mehr oder weniger Tonnen Pestizide eingesetzt werden, sondern wie giftig die Wirksubstanzen für die Gewässerorganismen oder schlimmstenfalls sogar für die Menschen sind (mehr dazu siehe Seite 20/21). Untersuchungen der Universität Bern im Sediment des Moossees decken auf, dass sowohl die Anzahl der Pflanzenschutzmittel als auch ihre Konzentration seit den 1960er Jahren massiv zugenommen haben. Die höchsten Werte wurden in den jüngsten Schichten gefunden (Chiaia-Hernández et al., 2020). «Unsere Studie belegt, dass die Qualität der Sedimente als Lebensraum seit den 1980er Jahren permanent ungenügend ist», sagt Aurea Chiaia-Hernández, welche das Projekt geleitet hat.
Abb. 1: Die Grafik zeigt das Risiko einer chronischen Schädigung wirbelloser Kleintiere (z.B. Bach
flohkrebse) durch Pestizidmischungen im Eschelisbach/TG vom März bis Oktober 2017.
Eine Risikozahl von 1 bedeutet, dass die im Bach gemessenen Konzentrationen gleich hoch
sind wie die Umweltqualitätskriterien. Bis zur doppelten Konzentration (Risikozahl 2) wird
der Gewässerzustand als mässig klassiert, bis zur zehnfachen als unbefriedigend und
über der zehnfachen Konzentration als schlecht – entsprechend hoch oder sehr hoch ist
das Risiko, dass Gewässerorganismen beeinträchtigt werden. Qulle: Eawag.
Zu hohe Nitratwerte seit Jahrzehnten
Weiter zurückverfolgen können wir die Situation mit den Nährstoffen. Seit 2011 erfassen Bund und Kantone im Programm «Nationale Beobachtung Oberflächengewässerqualität » (NAWA) die Kennzahlen für die Nährstoffbelastung der Gewässer. Daraus lassen sich Trends festhalten: Die Belastung mit Nährstoffen hat leicht abgenommen, die Bedeutung der Belastung durch Mikroverunreinigungen wächst, und die biologische Gewässerqualität ist teilweise ungenügend. Zu beachten ist, dass diese Aussagen für Oberflächengewässer gilt. Im Grundwasser, das mit einem separaten Programm überwacht wird, verharren vor allem die Nitratkonzentrationen vielerorts seit Jahrzehnten auf zu hohem Niveau (siehe Abb. 1). Von den landwirtschaftlich genutzten Flächen der Schweiz gelangen pro Jahr insgesamt mehr als 150'000 Tonnen überschüssiges Nitrat in die Gewässer (Stand 2019) (NAQUA; Spiess & Liebsch, 2020).
Nitrate werden im Körper von Säuglingen und Kleinkindern teilweise zu Nitrosaminen umgewandelt. Diese können krebserregend sein. Viele Gemeinden können daher ihr Grundwasser nicht mehr als Trinkwasser verwenden oder nur nach Verdünnung mit nitratarmen Wasser. Hauptursache für die Belastung ist die Landwirtschaft mit zugeführtem Stickstoffdünger, aber auch mit zu hohen Tierbeständen und dem daraus folgenden Überschuss an Gülle. Schutz vor übermässigem Eintrag von Nitrat würden nur ausgeglichene ausgeglichene Stickstoffbilanzen in der Landwirtschaft sowie eine standortgerechte und nachhaltige Bodenbewirtschaftung bieten.